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Aufarbeitung Missbrauchsopfer verlangen Schuldbekenntnis der Kirche

Fälle von sexuellem Missbrauch beschäftigen auch Sachsens Landeskirche. Die Aufarbeitung läuft und es gibt ein Konzept zur Prävention. Den Betroffenen geht das alles zu langsam und nicht weit genug - und sie fühlen sich ausgegrenzt.

Von dpa 27.03.2023, 15:28
Ein Kreuz bildet den Abschluss des Kirchturms.
Ein Kreuz bildet den Abschluss des Kirchturms. Arne Dedert/dpa

Dresden - Mehrere Opfer von sexuellem Missbrauch verlangen Offenheit von der evangelischen Landeskirche und die Einbeziehung ihrer Erfahrungen in die Aufarbeitung. Sie wurden teils über Jahre von einem Jugendwart und Diakon missbraucht. Sie fordern „ein Schuldbekenntnis der Institution evangelische Landeskirche und ein Statement der damaligen Diakone und Pfarrer in den Kirchgemeinden sowie der Vorgesetzten, sagte einer der 16 Männer am Montag nach dem zweiten Treffen der Gruppe in Meißen. Die Gruppe sieht ein strukturelles Versagen im Fall Kurt Ströer (1921-2013), der zu DDR-Zeiten Jugendwart einer Gemeinde im heutigen Chemnitz und später Diakon in Moritzburg bei Dresden war.

Die Opfer kritisieren, dass ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Mann und der Umgang der Kirche damit bisher keine Rolle in der Aufarbeitung spielten. Ihre Bemühungen, gehört und auch in die Prävention einbezogen zu werden, seien bisher vergeblich gewesen. „Ohne den Blick zurück gibt es keinen Blick nach vorn“, sagte einer der Männer. Aber Prävention sei nur möglich, „wenn rauskommt, was in der Vergangenheit geschehen ist“. Das Thema sei auch in der Kirchenleitung und in den betroffenen Gemeinden schambehaftet, das könne nur durch Gespräch überwunden werden.

Einer der Männer verwies darauf, dass die Betroffenen sich dank des Landeskirchenamtes nun regelmäßig austauschen könnten über das Geschehene, das „ein ganz eigenartiges Ineinander von spirituellem und körperlich sexuellem Missbrauch“ gewesen sei.

Nach Angaben der Betroffenen betreute Ströer mit „manipulativen Strategien“ Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene „mit seinen sexuellen Begierden, theologischen Ansichten und fragwürdigen Methoden“. Er selbst habe Protokoll über die geführt, die er „bekehrte“. Das Büchlein habe 1473 Einträge: „Name, Ort, Datum und wo Junge oder auch Mädchen wohnten“, sagte ein Betroffener, der es „das Trophäenbuch“ nannte. „Der erste Eintrag stammt von 1955.“

Der charismatische Geistliche suchte sich den Angaben nach unter den Konfirmanden Jugendliche aus, die in der Pubertät waren und Haltung und Orientierung brauchten, wie die Männer berichteten. Danach gab es Zungenküsse, feste Umarmungen, Berührungen und auch „die Hand auf oder in der Hose“, auch schwerere Fälle habe es gegeben. In der erzwungenen „Beichte“ habe Ströer die Jungs detailliert über ihre Sexualität ausgefragt und diese dann als Sünde verteufelt. „Er hat allen, die hier sitzen, eine gesunde Pubertät geraubt.“

Dabei habe Ströer „nicht ohne Mitwissen bestimmter Kirchenkreise“ gehandelt und ein strukturelles Netzwerk geschaffen, das er nutzen konnte. Er konnte den Angaben nach weitermachen, auch in seiner Zeit als ehrenamtlicher Seelsorger. „Das ging, bis er ins Altersheim eingeliefert wurde.“ Der letzte Fall datiere kurz davor 2010. Die Männer verlangen daher neben Transparenz auch die Nennung von Mittätern. Und sie hoffen, weitere Betroffene aus der Stille zu locken.

Die Landeskirche hatte die Missbrauchsfälle aus den 1960er und 1970er Jahren 2021 öffentlich gemacht, ihr sind bisher 33 Betroffene bekannt, die damals Jugendliche waren. Eine Sprecherin erklärte, dass der Landeskirche die Perspektive der Betroffenen wichtig sei. Anregungen aus diesem Kreis hätten dazu geführt, „dass es auch eine theologische Aufarbeitung der Taten“ gebe. Die Sprecherin verwies darauf, dass der Forschungsverbundes ForuM auch den Fall Ströer wissenschaftlich untersuche, die Ergebnisse würden im Herbst erwartet. Danach soll die Aufarbeitung in der Landeskirche beginnen, unter Einbeziehung der Betroffenen.

Der Gruppe geht das viel zu langsam. Ein ehemaliger Diakon sagte, er habe den Missbrauch durch den Jugendwart, der manchmal auch bis ins Erwachsenenalter reichte, schon vor etwa zehn Jahren beim Landeskirchenamt angezeigt. Zum Schuldbekenntnis gehörten „nicht nur Mitwisserschaft und Vertuschung“, sagte ein anderer in der Runde. „Wer kann über 40 Jahre ungehindert, unwidersprochen junge Menschen, Schutzbefohlene missbrauchen, das ist strukturelles Versagen.“ Da habe die Dienstaufsicht nicht funktioniert, „niemand hat etwas gewusst, ist eingeschritten“ - die Jugendlichen in Nöten seien alleingelassen worden.