Michel Tabachnik Michel Tabachnik: Spielte er das Lied zum Sekten-Tod?
Grenoble/MZ. - Ein bewegender Augenblick. Im Justizpalast von Grenoble erhebt sich Zeuge Alain Vuarnet. "Ich bitte um eine Schweigeminute für die Opfer des Sonnentemplerordens." Der Saal folgt ihm. Der Franzose hat Grund zur Geste: Unter den 16 Sektenmitgliedern, die sich 1995 in Südfrankreich das Leben nahmen, waren Mutter und Bruder. Angeklagt ist der Schweizer Dirigent Michel Tabachnik, 58, wegen Beihilfe zur "Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel, Mordtaten zu begehen". Von 1994 bis 1997 gingen 74 Sonnentempler in den Tod. Seit einer Woche versucht das Gericht, Tabachniks Rolle als Vordenker der Sekte auszuleuchten.
Fest steht nun: Er gehörte dazu. Nahm unter weißer Kapuze an den Geheimtreffen teil. War dem Guru Joseph Di Mambro völlig ergeben. Zwischen seinen Auftritten als Orchesterchef in ganz Europa hielt er Vorträge und verfasste Texte für die Gemeinschaft über "Reisen ins Jenseits", den "Transit zum Stern Sirius" - für den Staatsanwalt das theoretische Rüstzeug zum Kollektiv-Selbstmord. Als sich 1994 in der Schweiz 48 Sonnentempler töteten, befahl Tabachnik seinem Sohn, Dokumente zu vernichten.
Ermittlungsrichter Luc Fontaine, der Todesdrohungen bekam, recherchierte in Kanada, Frankreich und der Schweiz. Sein Befund: Die Sekte war eine "perverse Welt mit zerstörerischer Ideologie und mörderischem Todeswahn". Nur Tabachnik, letztes noch lebendes Ex-Mitglied, könne sagen, ob die Opfer zum Selbstmord getrieben wurden oder freiwillig starben. Der lehnt jede Verantwortung ab: Er sei naiv gewesen, habe sich manipulieren lassen, aber nichts von den bevorstehenden Suiziden gewusst. "Wenn ich nach dem Massaker gelogen habe, dann aus Angst." Er sei nicht der Theoretiker gewesen - und Präsident des "harten Kerns", der "Golden Way-Stiftung", nur, um Di Mambro einen Gefallen zu tun.
Sektenspezialist Jean-Marie Abgrall stellte keine Schuld fest: Blinde Ergebenheit habe Tabachnik in die Arme der Verführer getrieben. Das Urteil soll am heutigen Freitag fallen. Es drohen bis zu zehn Jahre Haft.