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Hilfe für Gewaltopfer Mehr Gewalt auf offener Straße – Charité zieht Bilanz

Rechtsmediziner obduzieren nicht nur Tote. Sie dokumentieren auch Spuren von Gewalt. Oft spielt sich diese hinter verschlossenen Türen ab. Aber auch auf der Straße nimmt die Gewalt zu.

Von dpa 07.09.2025, 05:20
Ein kleines Mädchen sitzt mit gesenktem Kopf allein auf dem Fußboden. (Symbolbild)
Ein kleines Mädchen sitzt mit gesenktem Kopf allein auf dem Fußboden. (Symbolbild) Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Berlin - Geschlagen, getreten, gewürgt: 298 Betroffene von körperlicher Gewalt haben ihre Verletzungen im ersten Halbjahr von Gerichtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. Meist suchten Frauen oder Mädchen (197) Hilfe bei der Gewaltschutzambulanz der Charité, wie die Senatsjustizverwaltung auf Anfrage mitteilte. Aber auch 100 Männer und Jungen kamen. Insgesamt haben sich bis zum 30. Juni 749 Menschen an die Einrichtung gewandt. 

Damit zeichnet sich eine vergleichbare Entwicklung wie in den Vorjahren ab. Im Gesamtjahr 2024 wurden nach den Angaben 643 Betroffenen (2023: 605) von den Experten untersucht. Insgesamt beriet die Gewaltschutzambulanz in 1.594 Fällen (2023: 1.719). 

„Das ist natürlich nur das Hellfeld“, betonte Rechtsmedizinerin Larissa Amadasi. „Im Zweifel ist damit zu rechnen, dass die, die es besonders schwer trifft, verloren gehen - weil sie gar nicht die Möglichkeit haben, sich bei uns zu melden“, sagte Amadasi der Deutschen Presse-Agentur. 

Hemmschwelle sinkt 

Auffällig sei die Form der Gewalt. Ohne dies statistisch belegen zu können, sei zu beobachten, dass die Aggression in der Gesellschaft zunehme. „Wir haben viele Personen, die angeben, von Unbekannten massiv angegangen, regelrecht verprügelt worden zu sein“, schilderte die Ärztin. „Die Gewalt auf offener Straße nimmt zu. Man hat das Gefühl, dass die Hemmschwelle niedriger ist.“

Positiv ist aus Sicht der Gewaltschutzambulanz, dass zunehmend weniger Termine storniert werden. Im ersten Halbjahr 2025 kamen 47 Menschen doch nicht zu dem vereinbarten Gespräch, im Gesamtjahr 2024 waren es 137 - und im Jahr zuvor sogar 154. „Die Entwicklung freut uns sehr“, so Amadasi.

Erfreulich sei auch die Entwicklung im Bereich der Beratung von Kinderärzten, Allgemeinmedizinern und Kinderschutzambulanzen sowie weiteren Stellen, die in irgendeiner Weise mit Gewaltopfern zu tun haben können. Nach Einschätzung von Amadasi sind diese sicherer in der Einschätzung von Fällen geworden. „Sie rufen nicht mehr wegen jedem kleinen Hämatom an, weil sie unsicher sind, ob sie einen Kinderschutzfall melden müssen und das Jugendamt einschalten müssen.“

Ambulanz bietet Schulungen an

Die Gewaltschutzambulanz wertet dies als einen Erfolg ihrer regelmäßigen Schulungen. Im vergangenen Jahr seien insgesamt knapp 1.600 Menschen im Rahmen von 74 Veranstaltungen weitergebildet worden, schilderte die Rechtsmedizinerin. Der Schwerpunkt liege dabei auf den Themen häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung. 

Die Ambulanz unterstützt Betroffene auch bei der Kontaktherstellung zu Betroffenenberatungen, Ärzten oder zur Polizei. 372 Mal war dies bis zum 30. Juni der Fall, wie es hieß. Im Gesamtjahr 2024 war das in 754 Fällen demnach so. „Wir versuchen den Betroffenen, die zu uns kommen, maximale Hilfe anzubieten“, sagte Amadasi. Damit eine Untersuchung in der Ambulanz erfolgen könne, dürfe die Gewalttat jedoch nicht zu lange zurückliegen: „Wir müssen etwas haben, was wir fotografisch dokumentieren können.“ 

Kostenlose Dokumentation von Verletzungen

Die Ambulanz wurde 2014 gegründet und wird von der Justizverwaltung seitdem finanziell unterstützt. Opfer können dort ihre Verletzungen von Gerichtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. Behandelt oder weiter betreut werden sie dort aber nicht.

Betroffene müssen nicht sofort entscheiden, ob sie Anzeige erstatten. Die Dokumentation zählt aber bei einer Verhandlung vor Gericht. Betroffene werden häufig von der Polizei, dem Jugendamt, von Ärzten und Beratungsstellen geschickt, einige kommen aber auch aus eigenem Antrieb.

In der Gewaltschutzambulanz der Charité können Betroffene von körperlicher Gewalt Verletzungen vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. (Archivbild)
In der Gewaltschutzambulanz der Charité können Betroffene von körperlicher Gewalt Verletzungen vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. (Archivbild)
picture alliance / dpa