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Luftverkehr Luftverkehr: Tragödie nach Überlingen-Absturz vor Gericht

Von Gisela Mackensen 23.10.2005, 12:35
Das zertrümmerte Heck der Tupolew, die über dem Bodensee mit einer Boeing 757 zusammengestoßen war, liegt auf einer Straße bei Überlingen (Archivfoto vom 2.07.2002). Bei der Kollision der zwei Maschinen waren die 69 Insassen einer Passagiermaschine und die zwei Piloten eines Frachtflugzeugs ums Leben gekommen. (Foto: dpa)
Das zertrümmerte Heck der Tupolew, die über dem Bodensee mit einer Boeing 757 zusammengestoßen war, liegt auf einer Straße bei Überlingen (Archivfoto vom 2.07.2002). Bei der Kollision der zwei Maschinen waren die 69 Insassen einer Passagiermaschine und die zwei Piloten eines Frachtflugzeugs ums Leben gekommen. (Foto: dpa) KEYSTONE

Zürich/dpa. - Der 36-jährige dänische Mitarbeiter der SchweizerFlugsicherung skyguide, die auch Süddeutschland überwacht, kämpftedabei gegen technische Pannen, soll aber auch Fehler gemacht haben.

Am 24. Februar 2004 wurde er an seinem Wohnort Zürich-Klotenerstochen. Der mutmaßliche Täter ist ein 49-jähriger Russe, der beider Kollision von zwei Maschinen am Himmel über dem Bodenseeufer Frauund zwei Kinder verloren hat. Vom kommenden Dienstag (25. Oktober) ansteht er vor dem Obergericht des Kantons Zürich.

Der Bauingenieur aus Wladikawkas, der Hauptstadt der russischenTeilrepublik Nord-Ossetien, muss sich wegen vorsätzlicher Tötungverantworten. Der Anklageschrift zufolge sah er in dem Fluglotsen denHauptschuldigen. Am 21. Februar 2004 war er nach Zürich geflogen undhatte sich in einem Hotel eingemietet. Drei Tage später stand erplötzlich auf der Terrasse des Fluglotsen und streckte diesem wortlosein Couvert mit Fotos seiner toten Angehörigen entgegen. Der völligüberraschte 36-Jährige reagierte abwehrend, wobei der Umschlag unddie Bilder zu Boden fielen.

Ohne «verbale oder gar tätliche Auseinandersetzung», wie es in derAnklage heißt, zog der Angeklagte ein Taschenmesser mit zehnZentimeter langer Klinge, mit dem er mehrmals zustach. Das Opferverblutete in wenigen Minuten, ohne dass die geschockte Ehefrau ihremMann hätte helfen können. Auch die zwei Kleinkinder erlebten dieBluttat aus nächster Nähe. 24 Stunden später wurde der 49-jährige inseinem Hotelzimmer gefasst. Seither sitzt er in SchweizerUntersuchungshaft. Wegen Suizidgefahr war er zeitweise in einerpsychiatrischen Klinik untergebracht.

Begonnen hatte das tödliche Drama in Barcelona, wo der Russe seitEnde 2000 arbeitete. Vergeblich wartete er in der Unglücksnacht amFlughafen auf Ehefrau Swetlana (43) sowie Sohn Konstantin (11) undTöchterchen Diana (4), die er ein Jahr lang nicht gesehen hatte. Diespanische Mittelmeermetropole war das Ziel der Tupolew der BashkirianAirlines mit 69 Menschen an Bord, deren Bahn sich in rund elfKilometer Höhe mit einer von zwei Piloten geflogenen DHL-Fracht-Boeing kreuzte. In dem Passagierflugzeug saßen vor allem Schulkinderaus Ufa auf dem Weg in die Ferien.

Der 49-Jährige war als erster Angehöriger am Unglücksort. Stummvor Schmerz suchte er in den weit verstreuten Wracktrümmern nach Frauund Kindern. Zurück im Nordkaukasus, bildete die Trauer nach Angabender Staatsanwaltschaft «praktisch seinen einzigen Lebensinhalt».Medienberichten zufolge ließ er ein Mausoleum bauen, seine Wohnungrichtete er mit Erinnerungsstücken an seine Lieben wie eineGedenkstätte her.

Der Angeklagte hat ein Teilgeständnis abgelegt. An die Tat selbstkann er sich nach Aussagen seines Verteidigers Markus Hug jedochnicht erinnern. Hug geht von einer Affekthandlung aus und willdeshalb auf Totschlag plädieren. Der Prozess wird der erste imZusammenhang mit dem Flugzeugabsturz sein.

Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU/Braunschweig)hat technische Mängel und menschliche Fehler bei skyguide und in derrussischen Maschine als Ursachen genannt. Ihre Aufgabe war es jedochnicht, die Schuldfrage zu klären. Die strafrechtlichen Ermittlungender Staatsanwaltschaften Konstanz (Deutschland) und Winterthur(Schweiz) gegen skyguide-Verantwortliche wegen fahrlässiger Tötunglaufen noch. Offen ist überdies der Schadenersatz für dieAngehörigen von 28 Todesopfern. Die übrigen haben bereits aufaußergerichtlichem Vergleichsweg Schmerzensgeld erhalten.

Im Gerichtssaal könnte nun der Mann, der seine Familie verlor,wieder mit der Familie zusammentreffen, die durch seine Hand ihrenVater verlor. Ob die Hinterbliebenen des Fluglotsen nach Zürichkommen, bleibt abzuwarten. Das Urteil soll am 26. Oktober verkündetwerden.

Die Flugzeugkatastrophe von Überlingen (Foto: dpa)
Die Flugzeugkatastrophe von Überlingen (Foto: dpa)
dpa