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Luftverkehr Luftverkehr: DDR baute ersten vierstrahligen Jet

Von Karl Morgenstern 04.12.2008, 19:36
Ehemalige Beschäftigte der Dresdner Flugzeugwerke besichtigen auf den Flughafen in Dresden das gerade enthüllte 1:10 Modell der «152», des legendären ersten deutschen Verkehrsflugzeuges mit Düsenstrahlantrieb. (FOTO: DPA)
Ehemalige Beschäftigte der Dresdner Flugzeugwerke besichtigen auf den Flughafen in Dresden das gerade enthüllte 1:10 Modell der «152», des legendären ersten deutschen Verkehrsflugzeuges mit Düsenstrahlantrieb. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Dresden/dpa. - Diehistorische Wahrheit sieht anders aus. Denn schon im April 1958rollte die 31,40 Meter lange «152» in der damaligen DDR aus derMontagehalle in Dresden-Klotzsche. Am 4. Dezember vor 50 Jahrenstartete der vierstrahlige Jet zum 25-minütigen Erstflug. Erst sechsJahre später hob im Westen der erste Hansa Jet ab, weitere siebenJahre danach die erste VFW 614.

Soweit die Fachwelt damals von der Flugzeugpremiere in der DDRerfuhr, war sie verblüfft. 2000 Kilometer Reichweite und eineGeschwindigkeit von rund 800 Stundenkilometern sollte die «152»bringen. Das Rollout der Maschine am Vorabend des 1. Mai 1958 warnoch mit großem Aufwand gefeiert worden: DDR-Chef Walter Ulbricht warmit großem Tross extra angereist. Weil aber die in Pirna entwickeltenTriebwerke «Pirna 014» noch nicht fertig waren, fand die Rollout-Feier mit leeren Triebwerksgondeln statt - das ist allerdings nichtsNeues in der Branche.

Über den späteren Erstflug sieben Monate später wurde die DDR-Öffentlichkeit nicht informiert. Selbst in «Sächsischen Zeitung»stand damals keine Zeile. Dennoch sind sich die Experten auch heutenoch einig: Das Jahr 1958 ist für die Geschichte der deutschenLuftfahrt ein Meilenstein - auch wenn der Erfolg ausblieb.

Was Professor Brunolf Baade, sein Chefkonstrukteur Fritz Freytag,Typenleiter Peter Bonin und ihre Mitarbeiter damals trotzschwierigster Bedingungen geleistet haben, wird noch heute mitRespekt gesehen. Heinz Abraham, der sich als junger Ingenieur inDresden bei Baade seine ersten Sporen verdiente, ehe er in den Westenflüchtete und später Chef der Flugzeugüberholung der LufthansaTechnik wurde, erinnert sich noch gern an den «Vater der 152»:«Professor Baade war nicht nur eine starke Persönlichkeit. SeineVorlesungen an der TH Dresden über Aerodynamik undHochgeschwindigkeitsfliegen waren eindrucksvoll und alle immer sehrwertvoll.»

1954 wurde unter Leitung von Baade, der früher Ingenieur beiJunkers gewesen war, der Flugzeugbau in der DDR aufgenommen. So kames zur Entwicklung der «152». Immerhin entsprach die «152» schondamals modernsten aerodynamischen Erkenntnissen und brauchte sichnicht vor den westlichen Produkten des beginnenden Düsenzeitalters zuverstecken. Sie basierte auf dem experimentellen BombenflugzeugSamoljot 150, mit dem die Russen das Flugverhalten strahlgetriebenerPfeilflügler studierten wollten.

Beim Jungfernflug der «152» am 4. Dezember 1958 wurden viersowjetische Triebwerke verwandt, weil die eigenen Motoren aus derElbestadt Pirna noch nicht einsatzbereit waren. Bis auf wenigeKleinigkeiten waren Testpilot Willi Lehmann, Co-Pilot Kurt Bemme undMechaniker Paul Heerling zufrieden.

Doch der zweite Flug der «152 V1» - diesmal vor größerem Publikum- endete mit einer Katastrophe. Nachdem die «V1» alle vorgesehenenProgrammpunkte erledigt und eine Flughöhe von 6000 Metern erreichthatte, sollte ein spektakulärer Überflug das Programm beenden. Dochdann erstarrten die Zuschauer: Nach ihrem 55-minütigen Flug schlugdie Maschine bei Ottendorf-Okrilla, etwa sechs Kilometer vomFlughafen Dresden entfernt, in einem Winkel von 70 Grad auf. Für dievierköpfige Crew gab es keine Rettung. Ihr war es kurz vorheroffenbar noch gelungen, die ausgefallenen Triebwerke wiederanzuwerfen, doch es war zu spät. Um aus dem überzogenen Flugzustandwieder in eine stabile Lage zu geraten, hätte die «152 V1» nochmindestens 2200 bis 2500 Meter hoch sein müssen.

Die Untersuchungen zur Unglücksursache wurden lange weitgehendunter Verschluss gehalten. Die Experten entdeckten Unzulänglichkeitenin der Kraftstoffversorgung. Die mangelnde Erfahrung desVersuchsteams mit Strahltriebwerken hatte eine verhängnisvolleSchlüsselrolle gespielt. Am 26. August und am 4. September 1960startete die «152/II V4» schließlich mit Pirna-014-Triebwerken nochzweimal. Ein Flug dauerte 20, der zweite 22 Minuten. Es waren dieletzten Flüge. Denn die Erprobungspiloten machten weitere Flüge vonder gründlichen Überprüfung der umstrittenen Kraftstoffversorgungabhängig.

Trotzdem wurden in Dresden noch zwei weitere Flugzeugefertiggestellt und für knapp zwei Dutzend Maschinen Einzelteile biszu fertigen Zellen für Bruchversuche produziert. Doch diehochfliegenden Träume von 80 Flugzeugen - ursprünglich sollte schon1962 die erste «152» an die DDR-Fluggesellschaft ausgeliefert werden- erfüllten sich nicht. Entwicklung und Bau des ersten deutschenDüsenverkehrsflugzeuges sollen mehr als zwei Milliarden Markverschlungen haben. Am 5. April 1961 zog das SED-Zentralkomitee dannden Schlussstrich unter den Flugzeugbau in der DDR. Heute werden inDresden-Klotzsche indes wieder Airbus-Passagierjets zuFrachtflugzeugen umgerüstet.