1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Lebende Fossilien: Lebende Fossilien: Einziges Meeresschildkröten-Aquarium hat geöffnet

Lebende Fossilien Lebende Fossilien: Einziges Meeresschildkröten-Aquarium hat geöffnet

Von Martina Rathke 30.01.2004, 12:45
Ein Taucher filmt am Dienstag (27.01.2004) im neuen Schildkrötenbecken des Stralsunder Meeresmuseums eine Meeresschildkröte. Vier Riesenschildkröten haben am gleichen Tag ihr neues Luxus-Becken bezogen. (Foto: dpa)
Ein Taucher filmt am Dienstag (27.01.2004) im neuen Schildkrötenbecken des Stralsunder Meeresmuseums eine Meeresschildkröte. Vier Riesenschildkröten haben am gleichen Tag ihr neues Luxus-Becken bezogen. (Foto: dpa) dpa

Stralsund/dpa. - Sie haben die Dinosaurier überlebt und künden bis heute von fernen Erdzeiten. Mit einer Evolutionsgeschichte von mehr als 100 Millionen Jahren gelten die Meeresschildkröten als faszinierende Relikte. «Doch die lebende Fossilien sind stark bedroht», sagt der Direktor des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund, Harald Benke. In der Forschungseinrichtung an der Ostsee hat am Freitag Deutschlands einziges Meeresschildkröten-Aquarium geöffnet. Vier der vom Aussterben bedrohten Reptilien sollen die Besucher fortan für den Schutz der Art sensibilisieren.

Mehr als zwei Jahre bauten Fachleute an dem Riesenaquarium, das 350 000 Liter Seewasser fasst und den «Ureinwohnern» des Deutschen Meeresmuseums optimale Lebensbedingungen bietet, wie Aquarienleiter Ernst Pawlowsky sagt. Fünf Tonnen echtes Korallenriffgestein wurden aus Vietnam eingeflogen, 35 Tonnen Kalktuffgestein verarbeitet. Bei Wassertemperaturen zwischen 25 und 28 Grad sollen sich die bis zu 100 Kilogramm schweren Panzertiere wie in der Südsee fühlen und in diesem «Luxus-Becken» möglicherweise für Nachwuchs sorgen, schaut Benke hoffnungsvoll in die Zukunft. Mit zwei Suppenschildkröten und einer echten und unechten Karettschildkröte zeigt das Meeresmuseum eine beachtliche Artenvielfalt der Urzeit-Meerestiere.

Laut WWF in Bremen gibt es weltweit sieben Arten, deren Überleben stark gefährdet ist. «Die Verschmutzung der Meere setzt den Tieren sehr zu. Aber jedes Jahr verenden Tausende Schildkröten auch als ungewollter Beifang in den Netzen der Fischer oder sie werden von Schiffsschrauben tödlich verletzt», sagt WWF-Sprecherin Kirsten Andrä. Auch die Eiablagestrände der Meeresschildkröten seien bedroht. Von 1000 Jungtieren erreichten nur ein bis zwei das Erwachsenenalter. Suppenschildkröten gelten in einigen Ländern noch immer als Delikatesse. Das Schildpatt muss zudem für exklusive Schmuckstücke und Kämme herhalten.

Angesichts des weltweiten Schwundes von Meeresschildkröten und der schwierigen Haltungsbedingungen haben andere Einrichtungen in Deutschland die Haltung dieser Riesen-Reptilien aufgegeben. Bereits 1985 wurde das Meeresmuseum mit seinem damals noch weit kleineren Becken zur Auffangstation für eine unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) aus dem Zoo Leipzig. Im April 2003 gab der Aquazoo Düsseldorf seine Suppenschildkröte (Chelonia mydas) in die Obhut der Stralsunder Meeresbiologen. Zwei Reptilien - eines einst Geschenk des kubanischen Fischereiministers - leben schon seit zwei Jahrzehnten im Stralsunder Meeresmuseum, das mit rund 600 000 Gästen im Jahr meistbesuchte museale Einrichtung in Norddeutschland ist.

«Eine Auswilderung kam für uns nicht in Frage», sagt Benke. Die Tiere lebten von klein auf in Gefangenschaft. «Sie tragen zudem möglicherweise Keime in sich, die bei einer Auswilderung die Wildpopulation gefährden könnten.» Stattdessen wurde in Stralsund ein vier Millionen teures Aquarium gebaut, das den Bedingungen in der natürlichen Umgebung nahe kommen soll. Die Haltung in dem neuen Seewasseraquarium wird von Tierschützern als artgerecht eingestuft. Das direkte Erleben der Tiere, wie sie mit urzeitlichen Flossenbewegungen durch das Wasser schweben, werde die Besucher für den Schutz der bedrohten Art sensibilisieren, zeigt sich Benke überzeugt.

Ein künstlich angelegter Strandabschnitt im Stralsunder Aquarium soll den Schildkröten sogar die Möglichkeit zur Fortpflanzung geben. Mit 20 bis 40 Jahren sind die Tiere im geschlechtsreifen Alter. Allerdings gibt es ein Problem: Die Stralsunder Tiere, die eine Lebenserwartung von mehr als 100 Jahren haben, sind alle weiblich. Aus diesem Grunde wollen die Biologen Kontakt mit dem Meereszoo im polnischen Gdansk aufnehmen. Dort lebt eine unechte Karettschildkröte männlichen Geschlechts, die zum Liebesakt nach Stralsund gelotst werden soll.