1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Kriegsfotograf in Syrien : Kriegsfotograf in Syrien : Sylvio Hoffmann erzählt vom Leben in der Krisenregion

Kriegsfotograf in Syrien  Kriegsfotograf in Syrien : Sylvio Hoffmann erzählt vom Leben in der Krisenregion

Von Anne Schneemelcher 06.03.2016, 21:06
Sylvio Hoffmann mit seiner Ausrüstung
Sylvio Hoffmann mit seiner Ausrüstung Andreas Stedtler

Leipzig - Das WG-Zimmer von Sylvio Hoffmann wirkt auf den ersten Blick völlig normal. Im Regal stehen einige Bücher, daneben liegen ein paar Zeitschriftenstapel. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop. Doch auf den zweiten Blick fallen zwei Dinge auf, die im WG-Zimmer eines 27-Jährigen sonst nicht zu finden sind: Ein Helm und eine 15 Kilogramm schwere Schussweste im Camouflage-Look. Beide Dinge braucht der Leipziger für seine oft gefährliche Arbeit. Sylvio Hoffmann ist Kriegsfotograf.

Schutzsuchende in Europa

Mehrmals schon hat er seit 2014 das syrisch-türkische Grenzgebiet besucht. Und jedes Mal brachte er Fotos mit, die das Leid der Menschen verdeutlichen - die begreiflich machen, warum so viele Syrer in Europa Schutz suchen. So wie das Foto, auf dem ein junger Mann vorsichtig durch zertrümmerte und zerbombte Häuser steigt. Er bewegt sich vorsichtig durch das Chaos aus staubigem Gestein und Glassplittern. Unter den Betonbrocken liegen vermutlich nicht nur Blindgänger, sondern auch Leichen. Hoffmann erinnert sich noch genau, dass ein beißender Verwesungsgeruch in der Luft lag. „Es roch nach Tod.“

Eine fast komplett zerstörte Stadt

Die Aufnahme entstand im Frühjahr 2015 in der Stadt Kobane, direkt an der Grenze zur Türkei. Die Stadt ist schon damals zu 80 Prozent zerstört. Tagelang harrten die Einwohner auf türkischer Seite aus. Als die Grenze geöffnet wurde, strömten sie nach Hause, und Hoffmann hielt auch diesen Moment fest, unter anderem für die Zeitung Neues Deutschland. „Die Menschen haben geschrien und geweint, als sie ihre zerstörte Stadt wiedergesehen haben. Autos lagen auf dem Dach, jedes Haus lag in Trümmern und es hat furchtbar gestunken. Das Weinen habe ich immer noch im Ohr.“

Hoffmann kann sich aber auch an „zutiefst schöne Momente“ in der Krisenregion erinnern. Da ist zum einen die grüne und weitläufige Landschaft. Da ist auch das Glitzern der Sonne auf dem Tigris, den er überquert hat, um vor wenigen Wochen, im Januar 2016, über den Norden des Iraks nach Syrien einzureisen. Ruhig und friedlich sei es zeitweise in der Nähe des Flusses gewesen. Keine Spur vom Krieg, obwohl der nur wenige Kilometer entfernt tobt. Aber auch den hat er erlebt: Schusswechsel, Gefechte und Bombeneinschläge. Sprengstoff in Schokoriegeln versteckt. Das fällt dem 27-Jährigen ein, wenn er über den kurzen Zeitraum spricht, den er in der Nähe des Euphrat an der Front verbracht hat. Zwei Kameras, die schwere Weste und der Helm waren immer dabei.

"Wer uns töten will, den töten wir zuerst"

Das Ziel seiner letzten Reise im Januar war Qamischli, eine Stadt im Nordosten Syriens. Dort hat er eine Woche lang Frauen bei der Ausbildung an der Waffe begleitet. Sie waren Christen. „Wer uns töten will, den töten wir zuerst“, sagte ihm die 18-jährige Ausbildungsleiterin gleich am ersten Tag. Den Satz vergisst Hoffmann so schnell nicht - er macht deutlich, wie ernst die Frauen, Mütter und Töchter ihre Aufgabe in Syrien nehmen. Mit Maschinenpistolen stehen sie an Checkpoints und kontrollieren alle, die durch Hasaka wollen. Sie sollen die Männer unterstützen - ihre Männer, erzählt der Leipziger, den die unerschrockene Frauenmiliz sichtlich beeindruckt hat.

Auf der nächsten Seite erzäht Sylvio Hoffmann von seinem ersten Besuch in Syrien

Das erste Mal in Syrien war Sylvio Hoffmann im Dezember 2014, als er mit einem Hilfstransport aus Deutschland in ein türkisches Flüchtlingslager nach Suruç fuhr. Suruç liegt nur wenige Kilometer von Kobane entfernt. Die Stadt war zu dem Zeitpunkt vom Islamischen Staat umzingelt. „Der Alltag im Flüchtlingslager war hart. Es regnete in die Zelte, es war kalt. Nachts konnte man nicht schlafen, weil Flugzeuge kreisten“, erinnert sich der Kriegsfotograf. Er hat dort Ärzte begleitet, die freiwillig verwundete Kurden aus Kobane versorgten. Über verminte und holprige Felder wurden die Opfer nachts ins kurdisch-türkische Krankenhaus nach Suruç gebracht. Nicht alle überlebten die Fahrt.

Zurück in der Heimat

Nach drei Wochen im Flüchtlingslager flog Hoffmann zum Weihnachtsfest zurück nach Leipzig. „Ein krasses Gefühl - ich war umgeben von glücklichen Menschen, Weihnachtsmärkten und dem Geruch von Bratwurst, während gleichzeitig die Menschen in Syrien um ihre Existenz bangten.“ Hoffmann merkte, dass er sich zu diesem Zeitpunkt, Ende 2014, auch auf Partys mit Gleichaltrigen fehl am Platz fühlte - der Berufswunsch Kriegsfotograf stand nun fest.

Fotografie spielt aber bereits seit dem 14. Lebensjahr für Hoffmann eine große Rolle. Der erste Apparat ist mit in die WG eingezogen. Eine Beirette aus der DDR, für die damals die ganze Familie zusammengelegt hat. Mit ihr zog er als Teenager durch den Leipziger Osten. Hoffmann ist ganz in der Nähe der Eisenbahnstraße aufgewachsen, die von einem Fernsehmagazin kürzlich zur „gefährlichsten Straße Deutschlands“ gekührt wurde. Angeblich, weil dort Drogen, Prügeleien und Gewalt den Alltag bestimmen. „Absoluter Quatsch“, winkt Hoffmann ab, für ihn bedeutet das bunte multikulturelle Viertel um die Eisenbahnstraße Heimat. Dennoch: „Die Armut ist spürbar und sichtbar. Beispielsweise wenn sich Schlangen vor den Läden der Tafel bilden.“ Armut hat Hoffmann auch in Syrien erlebt. Und Gastfreundschaft, die von Herzen kam. Er zeigt ein Foto, auf dem Kinder durch ein Einschussloch in die Kamera lachen. Vor ihnen sitzt ein Junge auf einem Fahrrad. Die Kinder hatten eine Rampe gebaut, die auf einem Schutthaufen liegt. „Das war ein sehr intimer Moment“, sagt Hoffmann über seine Beobachtung spielender Kinder in Kobane. Er sah ihnen eine Weile zu, fotografierte und wurde anschließend von deren Eltern zum Essen eingeladen. Aus Höflichkeit ging er mit, bekam aber keinen Bissen runter. „Sie hatten nichts. Nur Reis von den Vereinten Nationen. Ich habe vorgegeben, ich hätte gerade gegessen.“

Krieg hinterlässt Spuren

Doch die Zeit in der Krisenregion hinterlässt auch bei dem jungen Leipziger Spuren. „Ich hatte in den wenigen Wochen furchtbar abgenommen - aber ich habe dort auch einfach vergessen zu essen. Meistens war ich zu konzentriert und angespannt.“ Auch habe er in jeder Situation die Risiken für sich kalkuliert. Hoffmann findet sich zwar nicht besonders mutig, aber organisiert. „Ich bin mir immer bewusst, welches Risiko ich eingehe - jede Reise ist geplant, ich fahre nie wild drauf los.“ Deshalb hat er bei der Bundeswehr einen Lehrgang absolviert und dabei gelernt, mit psychischem Druck umzugehen. Auch, wie er sich bei einer Entführung oder unter Beschuss zu verhalten hat.

Weitaus mehr beschäftigt Hoffmann das Schicksal der Syrer. Beispielsweise das eines jungen Soldaten. Der Mann desertierte, nachdem er miterleben musste, wie sein bester Freund ermordet wurde. Er floh in den Nordosten Syriens nach Qamischli, wo er im Januar auf Hoffmann traf. Zusammen mit seiner Freundin versteckte er sich. Vor einem halben Jahr bekamen sie ein Baby. „Er will als Grafiker arbeiten. Ganz normal, ohne Krieg.“ Doch derzeit lebt der Deserteur gefährlich, denn er wird gesucht. Vor wenigen Tagen erreichte Hoffmann in Deutschland dann die Nachricht, dass es die Familie nach Istanbul geschafft hat.

Hoffmann will möglichst bald wieder nach Syrien aufbrechen. Das hängt von seinen Auftraggebern ab. Neben einigen deutschen Zeitungen schreibt und fotografiert er für Schweizer Kulturmagazine. Das seine Fotos gewünscht sind, macht ihn stolz, auch seine Familie. Mit den Bildern, sagt er, will er den Menschen hierzulande vor Augen führen, „was in Syrien wirklich abgeht“. (mz)