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Körpergröße Körpergröße: Leben mit 222 Zentimetern

Von CAROLINE BERTHOT 24.02.2009, 21:11

JENA/MZ. - Im Alltag begegnet Mayr immer wieder Skepsis. Wildfremde Menschen sprechen ihn auf der Straße an und meinen, ihn wegen seiner Größe bedauern zu müssen. "Sie haben bestimmt Rückenprobleme", "Sie finden doch keine Frau", "Für Sie gibt es kaum Kleidung" - Sätze, die der 44-Jährige schon lange nicht mehr hören mag. "Manche versuchen, mir Probleme einzureden. Und wenn ich dann widerspreche, sind sie richtig grantig."

Dabei werden die Deutschen immer größer, nähern sich den Mayr-Maßen. "Allein in den letzten 80 Jahren sind wir um elf Zentimeter gewachsen", sagt Georg Kenntner - und meint die Durchschnittsgröße. Der 70-jährige Anthropologe von der Uni Karlsruhe vermisst seit fast 50 Jahren junge Deutsche. Als Gründe des Wachstums nennt er vor allem die bessere Ernährung und medizinische Versorgung. So misst der Durchschnittsmann heute 1,82 Meter, die Durchschnittsfrau 1,68 Meter. Und gehe der Trend so weiter, könnten die Männer in 100 Jahren 1,93 Meter, die Frauen 1,80 Meter erreichen. Kenntner sagt Veränderungen der Wirbelsäule voraus, Haltungsschäden seien programmiert. Auch Kreislaufbeschwerden würden zunehmen, da das Wachstum der inneren Organe nicht mit dem Körperwachstum mithalten könne. Er räumt allerdings ein, dass offen ist, ob der Wachstums-Trend anhält: "Wie genau sich die Körpergröße entwickeln wird, weiß niemand."

Schwieriger Schuhkauf

Die 2,22 Meter von Mayr blieben aber noch lange eine Ausnahme. Für ihn ist es wohl auch deshalb normal, dass die Menschen mit Neugier reagieren. Aber: "Es gibt ganz vorwitzige Leute, die sich hinter mich stellen und sich dann fotografieren lassen. Die denken, ich bekomme das nicht mit - tue ich aber", sagt Mayr und fügt hinzu: "Ich bin doch keine Freak-Show." Mehr Selbstverständlichkeit und Sensibilität im Umgang mit großen Menschen, das wünscht sich Mayr. Kaum ein Tag, an dem er nicht Fragen à la "Wie ist die Luft da oben?" hört. Schon beim Erzählen verzieht er genervt das Gesicht.

Neben abgedroschenen Sprüchen und altklugen Ratschlägen bringt die Körpergröße indes einige Einschränkungen mit sich. Rolf Mayr kann nicht in jedem x-beliebigen Kleidungsgeschäft einkaufen, auch wenn sich das Angebot in großen Größen in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert hat. Schwierig bleibt der Schuhkauf - Größe 54 braucht Mayr. Seine Schuhe bezieht er seit 15 Jahren von einem Händler im Münsterland. "Das ist wie mit einem seltenen Hobby: Man muss sich eben seine speziellen Läden suchen."

Insgesamt geht Mayr gelassen mit seiner Größe um. "Manchmal habe ich den Eindruck, die Leute denken, dass man aufwacht und ist über zwei Meter groß. Das ist ja nicht so, da wächst man rein - im wahrsten Sinne des Wortes."

Größe liegt in der Familie

Mayr ging mit einer Geburtsgröße von 60 Zentimetern an den Start. Als Zehnjähriger maß er 1,66 Meter. Hänseleien blieben ihm da nicht erspart. "Heute weiß ich, das hilft, um sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln." Den Spitznamen Bibo - wie der große Vogel aus der Kinder-TV-Serie Sesamstraße - hat er bald akzeptiert. Inzwischen hat er ihn sich sogar in den Personalausweis eintragen lassen. Auch beim Basketball - Mayr spielte fünf Jahre in der 1. Bundesliga - kennt man ihn unter diesem Namen.

Die Zwei-Meter-Marke knackte Mayr mit 14 Jahren, mit 16 war er bei seinen heutigen Maßen angekommen. Die "extreme Körpergröße" liegt bei den Mayrs in der Familie - Mutter und Vater waren über 1,90 Meter, der Großvater über zwei Meter groß. Mayrs Söhne werden Prognosen nach über 2,10 Meter werden. Eine Aussicht, die die Sieben- und Dreizehnjährigen mit Stolz erfüllt. Eine Hormontherapie, um das Wachstum zu hemmen, kam für sie wie einst für den Vater nicht in Frage. "Für mich ist es wichtiger, dass die Jungs sich so akzeptieren, wie sie sind", so Mayr.

Seit Juli 2008 lebt der Versicherungsfachmann im thüringischen Jena in einem sanierten Altbau. Die hohen Decken und Türen kommen ihm entgegen, obwohl das Kopfeinziehen sowieso längst Reflex ist. Das erleichtert den Alltag, ob in der Straßenbahn, im Café oder im Kino. "Klar wird es manchmal eng", sagt Mayr. "Doch ich habe noch nichts erlebt, was nicht zu regeln war."