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Komet Komet: Tödlicher Schweif

Von KAI POSMIK 14.05.2010, 12:14

Halle/MZ. - Und das rast nun im Schlepptau eines Kometen auf die Erde zu. Halleys Kometen, um genau zu sein. Dessen Schweif voll tödlichem Cyan soll am 18. Mai die Erde umhüllen. Nun steht der Welt also das Jüngste Gericht bevor.

So glauben es 1910 viele. Es ist die wohl erste globalisierte Massenhysterie, die vom nach Edmond Halley benannten Kometen auslöst wird. Der Tod durch Kometengas führt die Hitliste jedoch nur an - es gibt noch andere Varianten des Weltunterganges. Manche befürchten, dass Halleys Schweif die Erdoberfläche einfach abrasieren könnte. Andere debattieren, ob die Erde tödlichen elektrischen Strömen ausgesetzt werde oder ein Meteorschauer den Planeten in Brand setzt. Auch dass der Komet gleich in Gänze auf die Erde knallen könnte, wird ernsthaft diskutiert.

Dabei hatte Edmond Halley (1656-1742) eigentlich schon Jahrhunderte zuvor dazu beigetragen, den heute bekanntesten aller Kometen zu entmystifizieren. 1682 sieht der Engländer den Himmelskörper mit dem eindrucksvollen Schweif. Von jetzt an lässt er ihn nicht mehr los. Halley berechnet seine Flugbahn und ist überrascht. Der Astronom merkt, dass er dieselbe Bahn wie zwei Kometen der Jahre 1531 und 1607 beschreibt.

Es ist die erste bekannte bildliche Darstellung von Halley. Ob die Pestepidemie von 1378, der Einfall der Türken nach Europa 1456 oder der kälteste Winter seit Menschengedenken 1607 / 08 - Halleys Erscheinen bleibt vor allem in Verbindung mit Unheil in Erinnerung. 1910 ist das nicht anders.

Obwohl längst die Moderne angebrochen ist, wird Halleys Wiederkehr von vielen Menschen mit Angst und Bange erwartet. Wochenlang arbeiten die Medien auf den 18. Mai hin, dem Tag des Kontakts mit Halleys Schweif. Auf allen Kontinenten grassiert das Kometenfieber. Ganz besonders wird auf böse Vorzeichen geachtet. Und von denen gibt es einige. Im Januar 1910 erscheint plötzlich ein zweiter Komet am Himmel, der Halley in Größe und Helligkeit in nichts nachsteht und die Aufmerksamkeit auf dessen Wiederkehr noch steigert. Im Frühjahr werden nach wochenlangen Regenfällen weite Teile Frankreichs überflutet. In Paris kommt man stellenweise nur noch per Boot voran.

Am 21. April stirbt Mark Twain, was von einigen als besonders böses Omen gewertet wird. Denn der Schriftsteller wurde ausgerechnet 1835 geboren, dem Jahr als der Halleysche Komet zuletzt zu sehen war. Dann bebt Anfang Mai in Costa Rica die Erde, Hunderte sterben. Am schwersten zerstört ist ausgerechnet eine Stadt namens Cartago. Und zwei Tage später - am 6. Mai - stirbt Englands König, Edward VII.

Welcher Beweise brauchte es noch, dass Halleys Besuch Unglück bringt? Weltuntergangspropheten haben Hochkonjunktur. Für einige ist das alles offenbar zu viel. Zeitungen berichten von Selbstmorden in den USA, Ungarn und Italien, aus Angst vor dem Kometen. Andere treibt Halley in den Wahnsinn. Heute lässt sich kaum noch überprüfen, wie wahr solche damals weltweit gedruckten Storys sind. Sicher ist jedoch, dass Halley 1910 vor allem bei älteren und gläubigen Menschen Angst auslöst.

Die meisten Wissenschaftler bemühen sich um realistische Aufklärung. Vor allem in den Großstädten entsteht sogar so etwas wie eine Kometeneuphorie. Tausende strömen in die Sternwarten und Observatorien. In Berlin richtet die Königliche Sternwarte auf dem Dach eines Hauses sogar eine Filiale ein, um dem Publikum Auskünfte über den Verlauf von Halley geben zu können. Die Ängste vieler Menschen finden auch ihren Widerhall in Karikaturen und Spottgedichten.

Vor allem in Deutschland ist ein humorvoller Zugang zum angeblich bevorstehenden Weltuntergang weit verbreitet. In der Musik nehmen Kometenschlager ängstliche Mitbürger aufs Korn. Verkauft werden goldfarbene Aufkleber mit Aufschriften wie: "Dies ist der Halleysche Komet, an dem die Welt zugrunde geht."

Besonders beliebt sind in Deutschland Ulk-Postkarten mit Karikaturen und Spottversen. Zu hunderttausenden sind sie im Umlauf. Und natürlich werden mit Halley auch allerlei Geschäfte gemacht. In den USA fällt ein Anstieg von Taschendiebstählen auf. Es ist offenbar besonders leicht, den nach dem Kometen am Himmel schauenden Menschen die Brieftasche zu stehlen.

Als der 18. Mai schließlich gekommen ist, begeht den Tag jeder auf seine Weise. Wer Halley fürchtet, verstopft Schlüssellöcher und Türritzen, damit ja kein Cyan eindringen kann. So mancher verbarrikadiert sich mit den teuer erstandenen Gasmasken und Sauerstoffflaschen im Keller. Andere strömen in die Kirchen, um Gottes Beistand zu erbitten. Die Mehrheit der Menschen nimmt es lockerer. In Florenz und Zürich finden Volksfeste statt. Das Kempinski in Berlin und viele andere Hotels auf der Welt laden zu Kometenpartys. So mancher Kometencocktail rinnt die Kehlen hinunter.

Die halbe Welt ist auf den Beinen, um Halley zu sehen. Nur wer Angst vor dem Kometen hatte, ist am folgenden Tag guter Stimmung. Kein Cyangas hatte den Tod gebracht, kein Meteorschauer die Erde in Brand gesetzt. Die Welt steht noch, zweifellos. Wer Halley jedoch nach der monatelangen Aufregung freudig entgegengefiebert hat, ist vor allem in Europa und Amerika bitter enttäuscht. New York und Paris liegen unter einer dichten Wolkendecke, was vor allem die Franzosen übel nehmen.