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Klimawandel Klimawandel: Kältere Winter in Deutschland durch Eisschmelze

26.09.2013, 05:31
Ein Thermometer wird in Berlin vor die Sonne gehalten.
Ein Thermometer wird in Berlin vor die Sonne gehalten. dpa Lizenz

Bremerhaven/DPA. - Kälteres Winterwetter in Europa trotz Klimaerwärmung? Für die Klimawissenschaftler vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (Awi) in Bremerhaven ist das kein Widerspruch. Wenn das arktische Meereis schmilzt, habe das direkte Auswirkungen auf die Temperaturverteilung in der Atmosphäre und die Winde, erklärt der Klimaforscher Prof. Thomas Jung im dpa-Interview.

Frage: Was hat das arktische Meereis mit dem Wetter in Deutschland zu tun?

Antwort: Der treibende Motor für das Klimasystem in unseren Breiten ist der Temperaturunterschied zwischen den niederen Breiten und den kalten Regionen. Je stärker der Unterschied ist, desto stärker sind die westlichen Winde in unserer Region. Das Meereis trennt warmes Wasser von sehr kalter Luft besonders im Winter. Wenn das Meereis dünner wird oder gar ganz verschwindet, wird die Atmosphäre erwärmt. Dadurch reduziert sich der Temperaturunterschied zwischen den Tropen und den Polarregionen. Das führt zu einer Abnahme der westlichen Winde, mit denen milde Luft vom Ozean zu uns strömt.

Frage: Haben die vergangenen Winter schon Auswirkungen gezeigt?

Antwort: Die Frage ist, ob man alleine das Meereis zur Erklärung heranziehen kann. Unsere Experimente mit Computermodellen zeigen, dass es beim Rückgang des Meereises kältere Winter über Europa gibt. Sie deuten aber auch darauf hin, dass der Zusammenhang nicht besonders stark ausgeprägt ist. Das heißt, einzelne kalte Winter alleine über das arktische Meereis zu erklären, ist wohl relativ schwierig.

Frage: Müssen wir uns regelmäßig auf kalte Winter einstellen?

Antwort: Durch den Treibhauseffekt gibt es über Europa eine Erwärmung der Atmosphäre aufgrund der erhöhten Kohlendioxidkonzentration (CO2). Das gleiche ist in der Arktis der Fall. Das führt in der Arktis zum Abschmelzen des Meereises und in Europa zu einer Erhöhung der Temperatur. Durch den Einfluss der Arktis und des Eises wird die Erwärmung in Europa lediglich gemildert. Der kühlende Effekt ist weniger ausgeprägt als der Erwärmende.

Frage: Welche Rolle spielt die Rückstrahlung von Sonnenlicht (Albedo)?

Antwort: Im Zusammenhang mit der Albedo spricht man von einer positiven Rückkopplung. Das geht so: Wenn das Meereis im Sommer zurückgeht, wird mehr dunkler Ozean sichtbar. Weniger Sonnenlicht wird vom weißen Eis in den Weltraum reflektiert. Der Ozean kann deshalb mehr Wärme absorbieren und das Abschmelzen des Meereises wird verstärkt.

Frage: Wie passt der aktuelle Stillstand bei der Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur dazu?

Antwort: Wenn man mal nur das arktische Meereis anschaut, dann fällt auf, dass es den stärksten Rückgang seit dem Sommer 2007 gibt. Man spricht von einem Rückgang des Meereises um 50 Prozent im Vergleich zu 1979. Die größte Temperaturänderung in der Arktis hat aber in den letzten 15 Jahren stattgefunden - und das obwohl global im Mittel die Temperaturen nicht gestiegen sind. Das Klimasystem wird in seiner Komplexität nicht vollständig durch die globale Mitteltemperatur beschrieben.

Frage: Wird sich die Tendenz der Eisschmelze fortsetzen?

Antwort: Wir verstehen noch nicht vollständig, ob der enorme Rückgang des Meereises seit 2007 nur auf den Treibhauseffekt und Rückkoppelungen wie den Eis-Albedo-Effekt zurückzuführen ist oder ob es auch eine Überlagerung von natürlichen Variabilitäten gibt. Eine natürliche Variabilität kann nicht nur dafür sorgen, dass ein Temperaturanstieg für eine gewisse Zeit stehenbleibt. Er kann auch zu einer Beschleunigung führen. Inwieweit so etwas zum rascheren Meereisrückgang geführt hat, wissen wir derzeit nicht. Das ist Gegenstand der aktuellen Forschung und ich hoffe, dass wir Antworten in den nächsten fünf Jahren finden.