Karriere Karriere: Journalist blickt auf 25 Jahre Rock'n'Roll- Rock- und Pop-Abenteuer zurück

Halle (Saale) - „Höflichkeit ist eine der wichtigsten menschlichen Stärken.“ Dieser Grundsatz, den er in Gesprächen immer wieder gern bekräftigte, stammt - hätten Sie’s gedacht? - von Lemmy Kilmister, dem im Jahr 2015 verstorbenen Frontmann der Band Motörhead.
„Einen höflicheren Fatalisten als ihn kann man sich schwer vorstellen.“ Diese Auskunft über Lemmy wiederum stammt von Michael Fuchs-Gamböck. In seinem süffisant „Er hatte sie alle!“ betiteltem Buch vereint der Journalist 50 Geschichten über Rock- und Popmusiker, die, basierend auf Interviews, in 25 Jahren entstanden sind.
Fuchs-Gamböck hatte in jungen Journalistenjahren nicht nur eine Vorliebe für Underberg, sondern er teilte seinen Vorrat an den typischen, weil einzeln in Papier eingewickelten Fläschchen auch mit diesem und jenem Superstar.
Keith Richards, einstmals trinkfester Gitarrist der Rolling Stones, ließ sich zu der Köstlichkeit 1997 ebenso verführen wie Jaz Coleman von Killing Joke im Jahr zuvor, der seinen Mitstreitern das Getränk mit den Worten empfahl: „Do you assholes know Underberg?“, was ins Deutsche übertragen nichts anderes heißt als „Kennt ihr A…löcher Underberg?“
Gespräche und Schnäpse in dunkler Hotelsuit
Sie kannten diesen deutschen Schnaps nicht, was sich aber während des Gesprächs in der verdunkelten Hotelsuite ändern sollte.
Sicherlich hätten auch der für Zickenalarm bekannten Deborah Harry, Frontfrau der Band Blondie, ein paar Kräuterschnäpse gut getan, als der Musikjournalist sie 2007 zum Gespräch traf.
Und so entspann sich ein eher zähes Gespräch mit ihr. In solchen Fälle gilt: Man muss die Eigenheiten der Stars mit Humor nehmen, weiß Fuchs-Gamböck.
„Humor ist sowieso die einzige Waffe, die wir Menschen haben, um dieser merkwürdigen Existenz ein Schnippchen zu schlagen“, erklärte wiederum Tom Waits, der für seine Reibeisenstimme bekannte US-Singer-Songwriter, dem Journalisten bei einem Interview an einem schönen Sommertag 1992 in Paris.
Fuchs-Gamböck und Nina Hagen: Viel Humor, aber „zu viel ,icke‘“
Humor hat Nina Hagen, die Fuchs-Gamböck 1993 auf Ibiza besuchte, zweifellos. Allerdings konnte er auch feststellen, dass sie „nicht in der Lage ist, sich wirklich auf jemanden einzulassen - zu viel ,icke‘“.
Chronologisch geordnet zeigt sich bei Fuchs-Gamböcks Texten allein schon quantitativ, dass die 90er Jahre der Höhepunkt des klassischen Musikjournalismus waren.
Texte über Stars und Sternchen aus dem Rock’n’Roll- und Pop-Geschäft waren bei den Musik- und Lifestyle-Magazinen gefragt, und damit auch die, die solche Beiträge liefern konnten.
Die Bedingungen und Begleitumstände, unter denen Pressetermine stattfanden, unterschieden sich deutlich von denen heute: Fuchs-Gamböck reiste damals noch feucht-fröhlich im Flugzeug durch Europa und in die USA.
Flug- und Hotelkosten wurden stets von den Plattenfirmen übernommen
Flug- und Hotelkosten wurden stets von den Plattenfirmen übernommen. Heute werden Interviews meist per Telefon oder Mail geführt. Das kann man nicht allein mit dem gewachsenen Umweltbewusstsein erklären.
„Ich erzähle Geschichten aus einer Ära dieses verrückten Business, die es in der Zukunft nicht mehr in dieser Form geben wird. Aus dem so einfachen wie traurigen Grund, dass sich die Musikbranche seit Beginn des aktuellen Jahrhunderts stark verändert hat. Und das nicht unbedingt zu ihrem Vorteil“, so Fuchs-Gamböck - der auch Bücher über James Blunt, Genesis und Xavier Naidoo vorlegte - im Vorwort.
Musikjournalismus in Krise wegen sozialer Medien
Soll heißen: Der Musikjournalismus ist nicht nur wegen sinkender Auflagen von Zeitschriften in der Krise, sondern weil die Musiker dank sozialer Medien die Promotion von Tonträgern und Tourneen selbst steuern.
Am Anfang steht ein Porträt über Gianna Nannini, in dem der Autor unumwunden gesteht, in die italienische Rockröhre verliebt gewesen zu sein. Im Ost-Berlin des Jahres 1990 hatte Fuchs-Gamböck Gelegenheit, die Sängerin vor einem Konzert auf der Radrennbahn in Weißensee - wo wenige Jahre zuvor Bruce Springsteen und Big Country die DDR-Fans verzückten - zu interviewen.
Als Nannini („Bello e impossibile“) sagte, dass es eine „Gianna des Tages“ und „Gianna der Nacht“ gebe, wollte der damals 25-jährige Fuchs-Gamböck wissen, wie man sich letztere vorstellen müsse.
So fand Fuchs-Gamböck heraus, wer „Gianna der Nacht“ ist
Statt einer Antwort drückte Nannini ihre Lippen auf die des Journalisten: „Ihre raue Zunge bohrt sich in meinen Hals, ihr drahtiger Körper drückte sich an meinen.“
Etwa dreieinhalb Minuten habe er mit der Sängerin, die sich selbst als „personifizierten Skandal“ bezeichnet, geknutscht, meint Michael Fuchs-Gamböck rückblickend, dem noch heute jede Äußerung über Nannini zur Liebeserklärung gerät. Doch letztlich können auch die anderen 49 Geschichten so gelesen werden. (mz)
Michael Fuchs-Gamböck: „Er hatte sie alle! - 50 Geschichten aus 25 Jahren Rock’n’Roll-, Rock- und Pop-Abenteuer“, Verlag AAA Culture, 397 Seiten, 19,90 Euro