1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Kanada: Kanada: Gruseliges Strandgut

Kanada Kanada: Gruseliges Strandgut

Von SEBASTIAN MOLL 06.09.2011, 18:04

NEW YORK/MZ. - Ron Van Streun dachte zuerst, das Ganze sei ein Scherz. Der Kreuzfahrt-Kapitän in der Bucht von Vancouver im Westen Kanadas arbeitete gerade an seinem Boot, als am vergangenen Mittwoch ein elf Jahre alter Junge zu ihm kam und ihm erzählte, er habe einen Fuß im Wasser gefunden. Van Streun sah sich die Sache schließlich doch genauer an und tatsächlich, da trieb ein Joggingschuh an seinem Steg, aus dem zwei noch immer vollkommen intakte menschliche Wadenknochen herausragten.

Der Fund alleine war gruselig genug. Noch gruseliger hingegen ist die Tatsache, dass es sich bereits um den elften Fuß handelte, der in den vergangenen vier Jahren körperlos an der kanadischen Westküste angespült wurde. Seit sich die verwaisten Unterschenkel im kanadischen Pazifik ansammeln, schießen die Spekulationen über deren Herkunft ins Kraut. Läuft in Kanada ein grausamer Killer mit einem Fußfetisch umher? Die Tatsache, dass es immer nur Unterschenkel sind, die angespült werden und dass sich die Funde in einem sehr eng begrenzten Gebiet konzentrieren, scheinen tatsächlich darauf hin zu deuten, dass in Vancouver etwas sehr Seltsames vorgeht.

Doch die kanadischen Behörden geben sich alle Mühe, solche Theorien zu widerlegen. So weist der Forensiker der Polizei von Vancouver, Stephen Fonseca, immer wieder darauf hin, dass keiner der Unterschenkel gewaltsam vom Körper abgetrennt wurde. Es sehe vielmehr so aus, sagt Fonseca, als hätten sich die Beine nach langer Zeit im Wasser von alleine vom Rest der Leiche abgelöst. Die Überreste könnten also von Personen stammen, die ohne Fremdbeteiligung umgekommen sind - Selbstmörder etwa, die von einer der zahlreichen Brücken von Vancouver gesprungen sind oder Schiffbruchopfer.

"Es gibt in unserer Gegend weiß Gott genügend vermisste Personen", so Fonseca. Und elf Füße in vier Jahren seien schließlich auch nicht allzu viel. Und leichte Joggingschuhe steigen im Wasser auf. Doch solche Erklärungen befriedigen die Verschwörungstheoretiker kaum. Wo etwa ist der Rest der Leichen abgeblieben? "Es gibt zu viele Zufälle hier", sagt Mark Mendelson, ehemaliger Detektiv der Polizei von Toronto. "Jeder, der von einer Brücke springt, trägt Joggingschuhe? Das ist bizarr. So lange wir nicht mehr wissen, müssen wir schmutzig denken."

Doch auch für Mendelson hat Fonseca eine Erklärung. Wenn eine Wasserleiche sich langsam auflöst, so Fonseca, sinken die Teile gewöhnlich auf den Meeresboden. Die Beine hingegen würden angeschwemmt, weil sie in modernen Turnschuhen steckten, die aus leichtem Schaumstoff gefertigt werden und deshalb treiben. Das erklärt sowohl, warum es nur Beine sind, die gefunden wurden, als auch, warum sie alle in Joggingschuhen stecken.

Fonsecas Theorien werden zudem durch die wenigen Fälle gestützt, in denen die verwaisten Joggerbeine identifiziert werden konnten. So gehörte ein Fuß zu einem Mann aus Surrey in Britisch Kolumbien, der schwere psychische Probleme hatte, wie seine Angehörigen bestätigten. Das zweite identifizierte Bein gehörte zu einem 23 Jahre alten Mann, der unter Schizophrenie litt. Wie bei dem Mann aus Surrey war auch bei ihm Selbstmord das wahrscheinliche Szenario.

Das einzige, woran sich diejenigen noch festhalten können, die partout an etwas Finsteres glauben möchten, ist die Tatsache, dass alle Gebeine in so einem engen Radius aufgetaucht sind. Doch auch darauf haben die nüchterneren Betrachter eine Antwort. So erklärt der Ozeanograph Richard Thompson vom Institut für Meeresforschung in Vancouver, dass es in der Gegend sehr viele kreisförmige Strömungen gibt. "Hier wird nicht sehr viel hinaus gespült. Alles kommt wieder zurück."