Kampf um Süßigkeiten von Niemetz Kampf um Süßigkeiten von Niemetz: Österreicher lösen "Candystorm" aus

Wien/DPA - Entfesselte Empörungsstürme im Internet, sogenannte „Shitstorms“, sind bei Unternehmen gefürchtet. Innerhalb kürzester Zeit prasseln auf die Firmen über Social Media Kritik, aber auch Pöbeleien ein. In Österreich entwickelte sich nun ein positives Pendant: Der Kampf für Schokoküsse und Eis löste einen „Candystorm“ aus, einen extremen Zuspruch in sozialen Medien. Auch Schweizer nutzen das Internet, um sich für faire Schokolade einzusetzen.
In Österreich löste die drohende Insolvenz des traditionellen Familienunternehmens „Niemetz“ Anfang des Jahres einen Hype auf Facebook aus. Die Menschen in der Alpenrepublik setzten sich vehement für die vom Aus bedrohten Schokoküsse ein. Tausende Fans versammelten sich in kürzester Zeit auf „Rettet die Niemetz Schwedenbomben“, um zu Hamsterkäufen aufzurufen oder Erinnerungen an die Leckereien zu teilen. Derzeit hat die Gruppe etwa 40 000 Fans.
Niemetz, 1890 gegründet, wurde mit seinen Schokoküssen und Creme-Riegeln zu einem fast vergessenen Stück österreichischer Identität. Seit Jahren kämpft das Unternehmen mit rückläufigen Umsätzen. Auch die Firma selbst scheint der Vergangenheit verhaftet: Veränderungen der Produktpalette oder Werbung gab es nicht.
So tat sich das etwas angestaubte Unternehmen anfangs schwer mit der Reaktion im Internet: „Man merkt, dass die Firma selbst überrumpelt war“, sagt der Wiener PR-Berater Volker Moser. „Niemetz ist wie eine Reise zurück in die 50er Jahre, was die Marke für viele ja auch so sympathisch macht.“
Derzeit läuft ein Insolvenzverfahren, doch produziert wird dank der hohen Kundennachfrage weiter. Zuletzt nahm sogar die schwedische Möbelkette Ikea die Süßigkeiten in ihr Sortiment auf. Eine Million Schokoküsse verlassen die Niemetz-Fabrik derzeit wöchentlich.
Die Liebe zum Produkt nimmt teilweise bizarre Formen an: Eine junge Frau beschrieb auf Facebook, was passierte, als sie im Supermarkt einmal zu einem deutschen Hersteller der schaumgefüllten Leckereien griff. Ein Mann bezeichnete sie als „Vaterlandsverräterin“ und wollte ihr die Süßigkeiten wegnehmen.
Doch mit der Solidaritätswelle allein ist es für das Unternehmen nicht getan. „Das ist auch eine riesige Aufforderung, etwas zu machen“, sagt Moser. „Wenn die Menschen jetzt sehen, dass sich nichts ändert, kann das Ganze ins Gegenteil umschlagen.“ Eine Social-Media-Kampagne könne einem strauchelnden Unternehmen das Überleben nicht sichern, aber in einer kritischen Situation Zeit verschaffen.
Etwas anders angelegt war die Wiedereinführung von „Tschisi“. Das österreichische Kult-Eis der 90er Jahre wird von der Unilever-Tochter Eskimo nach einem „Candystorm“ und großer medialer Aufmerksamkeit wieder produziert. Dabei hat das Unternehmen das eigene Risiko weitestgehend minimiert. Geschickt diskutierte die Firma auf der Facebookseite „Wir wollen das Tschisi-Eis zurück“ mit und wartete auf eine kritische Masse von rund 90 000 Fans.
„Wenn sie das Eis nur wegen 1000 Menschen wieder eingeführt hätten, wäre die Schwelle für das nächste Mal zu niedrig gewesen. Eskimo wollte sich auch bitten lassen“, so Moser. Die Strategie zahlte sich aus: Bereits in der ersten Woche wurden 1,7 Millionen Lutscher der Vanillepudding-Sorte verkauft.
Die Unterstützer der Kampagne posten im Internet Fotos von leergeräumten Regalen und Informationen über noch vorhandene Vorräte in Supermärkten. So werden Kunden zu kostenlosen Botschaftern.
Doch den Internetnutzern geht es nicht mehr nur um ihre eigenen Interessen: Auch soziale Aspekte werden immer häufiger zum Thema: Die Schweizer Organisation „Erklärung von Bern“ (EvB), die für eine faire Globalisierung eintritt, fährt im Netz eine Kampagne mit über 8000 Unterstützern für unbedenklichen Schokoladengenuss.
Firmen sollen offenlegen, dass es etwa beim Kakaoanbau keine Kinderarbeit gibt. Einige große Konzerne wurden so schon zu Reaktionen bewegt. Bei Unternehmen, die keine Reaktion zeigen, treten die Unterstützer persönlich auf den Plan. Mit ihren Fragen via Facebook wollen sie gezielt auf die Betriebe zuzugehen - was auch massenhaft geschieht.