Kalender der Natur Kalender der Natur: Rätselhafte Zeichen
Halle (Saale)/MZ. - Montag beginnt der Frühling. Das sagen die Astronomen. Für die Meteorologen ist er bereits mit dem ersten März-Tag gestartet. Ein Blick aus dem Fenster sagt noch etwas ganz anderes: Das da draußen kann doch nie und nimmer schon der Frühling sein. Wo sind die blühenden Blumen, die summenden Bienen und die zwitschernden Vögel? Sie sind es doch, die uns Frühlingsgefühle bereiten.
Weitab von astronomischen Berechnungen und meteorologischer Systematik kann man sich dem Frühlingsbeginn dann auch noch auf eine ganz andere Weise nähern. Und zwar durch die Beobachtung der Natur. Die so genannte Phänologie ist es, die weiß, wie diese Zeichen der Zeit richtig gedeutet werden. Sie orientiert sich dabei am Blattaustrieb bestimmter "Kennpflanzen" und am Flug bestimmter Zugvögel. Damit tritt sie in die Fußstapfen unserer Vorfahren, denen es in früheren Zeiten nicht so wichtig ist, was der Kalender gerade anzeigt. Viel wichtiger für die Landwirtschaft ist damals, ob noch mit langen harten Frostperioden zu rechnen ist.
Die Phänologie orientiert sich dann auch an den Erfahrungswerten vieler Generationen und leitet daraus ihre Regelmäßigkeiten ab. Manches davon hat man in vergangenen Tagen mit Hilfe von Bauernregeln zu Merksprüchen verdichtet. Anderes fußt auf teilweise jahrhundertelangen detaillierten Aufzeichnungen.
In Europa ist es die Apfelblüte, der eine besondere Rolle zukommt. Im Jahr 1736 beginnt Robert Marsham in England umfangreiche Aufzeichnungen, in denen er das Verhalten bestimmter Tierarten, aber auch die Blüte und den Blattaustrieb einer Reihe von Pflanzen vermerkt. So erarbeitet er insgesamt "27 Indikatoren für den Frühling". Diese Tradition setzt dann seine Familie über Generationen hinweg fort. In anderen Ländern gibt es detaillierte Aufzeichnungen über die Weinlese vergangener Tage.
Auf diese Art und Weise ist ein Kalender der Natur entstanden. Aber was hat denn nun die Phänologie über den Frühling zu sagen? Eine Bauernregel bringt das phänologische Wissen in Bezug auf den Frühlingsanfang auf den Punkt: "Es ist erst dann wirklich Frühling, wenn dein Fuß auf drei Gänseblümchen treten kann".
Im Detail ist das Ganze dann aber doch noch ein bisschen komplizierter. In Bezug auf den Frühling unterscheidet man in der Phänologie Vorfrühling, Erstfrühling und Vollfrühling. Ein Frühlingsbote des Vorfrühlings ist das Schneeglöckchen, aber auch das Stäuben des Rohrkolbens zeigt an, dass es jetzt Frühling wird. Das Austreiben der Stachelbeeren leitet schon den Erstfrühling ein.
Die Birnenblüte steht schon am Übergang zum Vollfrühling, der mit der Apfelblüte beginnt und mit der Blüte der Himbeeren in den Frühsommer übergeht. Mit den Blättern der Bäume kommen auch die Zugvögel zurück, können sie sich doch erst jetzt richtig im Blattdickicht verstecken, entspannt Hochzeit feiern und brüten. Einige kommen sogar schon etwas früher. Zu den ersten Frühlingsboten gehören die Kraniche, Störche, aber auch die Singdrosseln und natürlich die Kuckucke. Bei den Schmetterlingen zählt der Zitronenfalter zu den ersten, die man im Frühjahr zu Gesicht bekommt.
Nach und nach erwacht die Natur so Stück für Stück. Der Frühling mit seinen immer länger werdenden Tagen und steigenden Temperaturen startet bei uns in Europa meist gegen Ende Februar in Portugal und macht sich dann auf den Weg ins über 3 600 Kilometer entfernte Finnland, wo er nach ca. 90 Tagen eintrifft. Etwa 40 Kilometer schafft der Frühling so am Tag auf seinem Weg durch Europa. Allerdings kann es von Jahr zu Jahr durchaus beachtliche Abweichungen von mehreren Wochen geben und auch natürlich von Region zu Region.
Der große Vorteil der Phänologie liegt darin begründet, dass sie sich an den ganz konkreten Gegebenheiten direkt vor Ort orientiert. Nur 50 Kilometer weiter kann alles schon ganz anders aussehen. Daher ist auch Vorsicht geboten, wenn es um Bauernregeln geht, denn die gelten zumeist nur für eine ganz konkrete Region und können nicht so einfach ins entfernte Umland übertragen werden. Zudem orientieren sie sich oft am Kirchenkalender.
Dem aber liegt nicht die Phänologie zugrunde. So heißt es etwa in Bezug auf den gefürchteten Frost im Frühjahr über die "Eisheiligen" (Mamertus am 11. Mai, Pankratius am 12. Mai, Servatius am 13. Mai, Bonifatius am 14. Mai und Sophie am 15. Mai), die noch so mancher Aussaat zu schaffen machen können, in folgender Bauernregel: "Vor Nachtfrost bist du sicher nicht, bevor die kalte Sophie vorüber ist". Phänologisch ausgerichtet sind im Gegensatz dazu die folgenden Bauernregeln: "Siehst du gelbe Blümchen im Freien, kannst du deinen Samen streuen" oder auch "Wenn die Eiche Blätter kriegt, ist der Frost gewiss besiegt".
Den phänologischen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass Märzgewitter (meist am Märzanfang) oft noch Kälte und Nachtfröste mit sich bringen. Schöner wird es dann in der Regel erst in der Märzmitte. Gegen Ende des Monats März wird es übrigens im Allgemeinen wieder ein bisschen unbeständiger. Aber dann kommt ja auch schon der April und der "April, April kann machen, was er will".