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Justiz Justiz: Verbrecher genießen bei Weinlese einen Hauch von Freiheit

12.10.2005, 10:10
Häftlinge lesen am Dienstag (11.10.2005) auf der Staatsdomäne Hohrainhof bei Heilbronn Rieslingtrauben. (Foto: dpa)
Häftlinge lesen am Dienstag (11.10.2005) auf der Staatsdomäne Hohrainhof bei Heilbronn Rieslingtrauben. (Foto: dpa) dpa

Heilbronn/dpa. - Der 34-Jährige ist einer von 25 Häftlingen, die auf der Staatsdomäne Hohrainhof bei Heilbronn Wein lesen. Auf 11,5 Hektarwachsen in der idyllischen Landschaft Müller-Thurgau, Riesling oderauch Traminer.

Auch in anderen Bundesländern sind Häftlinge im offenen Vollzugbeispielsweise in Werkstätten und kleineren Betrieben beschäftigt,aber die Arbeit in dem baden-württembergischen Weinberg istbundesweit einmalig. Der Betrieb ist eine Außenstelle derJustizvollzugsanstalt (JVA) Heilbronn. «Die Häftlinge stehen kurz vorder Entlassung», sagt Anstaltsleiter Ulrich Schlicher. Bevor sie aufdem Hohrainhof arbeiten dürfen, müssen sie unterschreiben, dass sieim offenen Vollzug keinen Alkohol trinken. Das ist bei dem guten Weingar nicht so einfach. Denn auch 2005 messen die Häftlinge wiederungewöhnlich hohe Öchslewerte. So liegt der Riesling bei etwa85 Öchsle.

Dietmar trennt mit einer geschickten Handbewegung die Trauben vonder Rebe. «Ich war an einem Mord beteiligt», erzählt er. 1993 sei erverhaftet worden. Die Zeit im Gefängnis hat er genutzt, um eineSchreinerausbildung zu machen. Wenn er entlassen wird, ist er festentschlossen, ein neues Leben anzufangen.

Doch vorläufig gilt sein Interesse den Trauben. «Wenn siesauerfaul riechen, muss ich sie sofort aussortieren», sagt er.Sauerfaul bedeute, dass sie einen intensiven Essiggeruch ausströmen.Für Dietmar ist die Arbeit auf dem Weinberg eine Chance: «Das istdoch viel besser, als im geschlossenen Vollzug zu sitzen.» Auf demHohrainhof ist er draußen an der frischen Luft. Ihm liegt die Arbeitauf dem Weinberg. Nicht jeder Gefangene mag den Job. Manchmal müsseman die Männer auch von ihrem Glück überzeugen, sagt Schlicher.

Dietmar muss zeigen, dass er vertrauenswürdig ist. Denn dieniedrigen Zäune schützen eigentlich nur vor Tieren. Er würde keinenFluchtversuch wagen, ist er sich sicher. «Denn dann könnte ich dieEntlassung aus der Haft vergessen.» Doch in der Vergangenheit gab esimmer wieder Fluchtversuche. «Häufig hatten die Gefangenen Zwist mitihren Familien», sagt Anstaltsleiter Schlicher. Viele seien dann soverzweifelt, dass sie über die Folgen einer Flucht nicht mehrnachdenken.

Der Hohrainhof gehört als landwirtschaftlicher Betrieb zum sogenannten Vollzuglichen Arbeitswesen. Dieser wirtschaftlicheigenständige Landesbetrieb unterhält seit 2001 Niederlassungen inallen 19 Gefängnissen Baden-Württembergs. «Wir arbeiten hier wiejeder Betrieb mit Gewinn und Verlust», sagt Schlicher. Natürlich seiman auf die Einnahmen angewiesen. Gleichzeitig soll er den Häftlingenaber auch eine sichere Arbeitsstelle bieten. Etwa 1,50 Euro verdienensie in der Stunde. Das übrige Geld trägt dazu bei, die Vollzugskostenzu finanzieren.

Verkauft wird der gute Tropfen vom Hohrainhof über das Internetoder auch im «Gitterlädle» an der JVA Heilbronn. «Außerdem haben wirviele Stammkunden», sagt Schlicher. Und an den Wochenenden kommenGruppen auf das Gehöft aus dem 16. Jahrhundert zur Weinprobe. «Diemeisten sind so begeistert, dass sie wiederkommen», sagt Schlicher.Dietmar durfte den Wein noch nicht versuchen. «Ich stoße damit an,wenn ich entlassen werde», sagt er und macht sich wieder an dieArbeit.