Jubiläum Jubiläum: Berlinerin kann Lieder rückwärts singen

Berlin/dpa. - Mitten in Berlin-Wilmersdorf wohnt eine Frau, die rückwärts singen kann. Früher war Katja Nick ein richtiger Star. Sie trat bei Peter Frankenfeld und Wim Thoelke auf, sogar in der US- Show von David Letterman ist sie gewesen. Ihre Kunst, rückwärts Lieder auf Deutsch, Englisch und Japanisch vorzutragen, gilt als einzigartig.
Auf Zuruf dreht die Wortakrobatin selbst solche Ungetüme wie «Wasserstoffsuperoxyd» um, wie die «Berliner Börsen-Zeitung» im Jahr 1940 begeistert notierte. Heute, kurz vor ihrem 85. Geburtstag (31. Januar), beherrscht sie die Rückwärtskunst immer noch. Auf dem Tisch im Wohnzimmer ihrer Altbauwohnung - in der sie seit 50 Jahren wohnt - hat die alte Dame mit dem weißen Bubikopf, Strickjacke und Perlenkette ein betagtes Tonbandgerät platziert.
Lustig blitzen die braunen Augen, als sie zum Mikrofon greift. «Sagen Sie mal einen Satz» - dieser folgt, und blitzschnell hat sie es parat: «Nilreb ni reffok nenie hcon bah hci». Dann drückt sie auf die Taste, und aus dem Tonbandgerät tönt es etwas scheppernd, aber deutlich: «Ich hab noch einen Koffer in Berlin.» Ein schöner Satz, findet Katja Nick. Viele Vokale machen die Rolle rückwärts einfacher. Nachdenken muss sie nicht, die Buchstaben bahnen sich scheinbar mühelos ihren Weg.
Und dann singt sie: «Ich bin von Fuß bis Kopf auf rückwärts eingestellt», natürlich verkehrt herum. Wohl jeder, der sich in der Schule einmal richtig gelangweilt hat, weiß, wie der eigene Name von hinten geschrieben aussieht. Bei Katja Nick fing es ähnlich an. Sie lernte rasch, die Namen ihrer Mitschüler umzudrehen. Aus dem Lehrer Schorf wurde der Lehrer Frosch, aus der Freundin Lisa wurde Asil.
«Ich fand, dass die rückwärts gesprochenen Wörter oft sehr ulkig waren», erzählt sie. «Dann bin ich dazu übergegangen, die ganze deutsche Sprache umzudrehen.» Danach kamen die Lieder. Die einzelnen Wörter betont sie phonetisch richtig - so sagt sie nicht «Ginök», sondern «Chinök», damit es nachher richtig klingt: «Könich» (König).
Den Zauber der Sprache entdeckte Katja Nick im KaDeWe, jenem Berliner Kaufhaus, in dem sie als Kind zum ersten Mal eine fremde Sprache hörte. Die exotischen Klänge, die rollenden «Rrrs», die Zisch- und Kehllaute sollten sie nachhaltig faszinieren. Später lernte sie Englisch und Französisch und kam schließlich zum Auswärtigen Amt in Berlin, wo sie von 1939 bis 1942 als Sekretärin arbeitete.
Das NS-Propagandaministerium interessierte sich für das junge Fräulein mit der ungewöhnlichen Gabe. Katja Nick reiste bis an die Front nach Norwegen, um vor den Soldaten aufzutreten. Die Fotos und Bilder an den Wänden ihrer Wohnung erzählen von einem bewegten Leben. Stolz liest die alte Dame aus einem Artikel aus einer Hongkonger Zeitung aus dem Jahr 1942 vor: Sie sei «die Königin des umgedrehten Liedes», ihre Aussprache sei ganz korrekt gewesen. Später trat sie auf vielen Bühnen und im Fernsehen auf. "Ich hab die Welt kennen gelernt durch den Quatsch", sagt Katja Nick und lächelt.
Bei ihrem Brötchengeber in der Nachkriegszeit, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, war sie als Gelegenheitsdichterin im Haus bekannt, auch eine Biografie hat sie geschrieben. Im Internationalen Artistenmuseum in Klosterfelde (Brandenburg) hängen Erinnerungsstücke aus ihrer Karriere. Mittlerweile macht ihr das Alter zu schaffen, besonders das Laufen fällt ihr schwer. Aber rückwärts sprechen und singen - das ist für Katja Nick immer noch ein Kinderspiel.