Japan Japan: Strahlende Gefahr
BERLIN/MZ. - Nach Ansicht deutscher Nuklear-Experten könnte vom japanischen Atomkraftwerk Fukushima die größte Umweltkatastrophe der Menschheitsgeschichte ausgehen. Eine vollständige Kernschmelze in einem der drei mit Brennelementen beladenen Reaktorblöcke von Fukushima werde zu "Schäden in so gigantischen Ausmaßen führen, die sich niemand hat vorstellen können", sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Rainer Baake, am Montag der Mitteldeutschen Zeitung.
Durch eine Explosion des Reaktorbehälters würden radioaktive Materialien über hunderte von Kilometern verteilt. Sie könnten im 350 Kilometer entfernten Großraum Tokio die Umsiedlung "von zig Millionen Menschen erzwingen und die Region für einige hundert Jahre unbewohnbar machen", sagte Angelika Claußen, Strahlenschutzexpertin der Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW), der MZ.
Baake fürchtet, dass es zu einer Kettenreaktion kommen könnte. Mit der Kernschmelze in einem der Reaktoren werde eine so große Menge Radioaktivität freigesetzt, dass die Bedienungsmannschaften die übrigen Reaktorblöcke sofort verlassen müssten. In der Folge werde es auch dort zu Kernschmelzen kommen, sagte Baake.
"Die Gefahr, dass es in drei Blöcken zu einer vollständigen Kernschmelze kommt, ist nach allem, was wir wissen, sehr hoch", bestätigte die Referatsleiterin für Nuklear- und Anlagensicherheit im Ökoinstitut Freiburg, Beate Kallenbach. Ein solcher Gau könne insbesondere Eintreten, wenn Brennelemente freilägen und keine Kühlung etwa mit Meerwasser möglich sei. Ebendies war aus dem Reaktor Fukushima II gemeldet worden. Der IAEA-Experte James Lyons sagte allerdings: "Wir haben keinerlei Angaben, dass dort momentan Brennstoff schmilzt."
Animierte Grafik: Der Atommeiler Fukushima
Ob das größte Ballungszentrum der Welt an der japanischen Ostküste vom radioaktiven Fallout betroffen sein wird, hänge vor allem "von der Windrichtung und möglichen Niederschlägen ab", so Kallenbach. Es sei "mit dem Schlimmsten zu rechnen", sagte Baake mit Blick auf japanische Wetterprognosen. Als besonders gefährlich für die dicht besiedelte Region könnte sich der absehbare Ablauf einer Kernschmelze herausstellen: "Es ist davon auszugehen, dass eine Explosion die strahlenden Materialien nicht in so große Höhen schleudern und damit auch nicht so weit verteilen würde wie nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986, sondern dass ein ganzer Cocktail radioaktiver Stoffe im Umkreis von einigen hundert Kilometern viel höher konzentriert niedergeht", sagte Claußen. Die Katastrophe zeige, dass Atomkraft "niemals hundertprozentig sicher sein kann", warnte Baake. Auch deutsche Atomanlagen seien "nur so lange sicher, so lange das eintritt, was man geprüft hat". So hätten die japanischen Reaktoren zwar dem Erdbeben standgehalten, der nachfolgende Tsunami habe aber die Notstrom-Generatoren außer Gefecht gesetzt und "das war im vorhergesehenen Schadensszenario nicht enthalten". Claußen forderte, "wenigsten die maroden sieben ältesten Atomkraftwerke in Deutschland sofort abzuschalten".
Die Bundesregierung hat indes ihre erst im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke für drei Monate ausgesetzt. Zudem will sie als Konsequenz ältere Kraftwerke sofort vom Netz nehmen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ankündigte. Als Folge davon muss das seit rund 35 Jahren laufende Atomkraftwerk Neckarwestheim 1 (Baden-Württemberg) vom Netz genommen werden. In Baden-Württemberg wird am 27. März ein neuer Landtag gewählt.
Auch in Sachsen-Anhalt wird kurz vor der Wahl über die Zukunft der Kernenergie diskutiert. SPD, Linke und Grüne sehen sich in ihren Positionen bestätigt, CDU-Spitzenmann Reiner Haseloff plädierte für einen schnellstmöglichen Atomausstieg. "Die gesamte Energiepolitik gehört nach Japan grundsätzlich auf den Prüfstand", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung.