1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Jahrhundertbeben in Haiti: Mehr als 112 000 Tote

Jahrhundertbeben in Haiti: Mehr als 112 000 Tote

Von Jan-Uwe Ronneburger 24.01.2010, 16:09

Buenos Aires/Port-au-Prince/New York/dpa. - Das Erdbeben in Haiti hat mindesten 112 000 Menschen das Leben gekostet und ist damit eine der zerstörerischsten Naturkatastrophen der vergangenen 100 Jahre.

Die Suche nach Überlebenden wurde zwar offiziell am Freitag eingestellt - und doch gab es danach noch ein kleines Wunder: Ein französisches Team rettete am Samstag, elf Tage nach der Katastrophe, einen 24-Jährigen aus den Trümmern eines Hotels. Insgesamt konnten die Rettungskräfte 133 Überlebende aus zerstörten Gebäuden ziehen.

In der Umgebung der Hauptstadt Port-au-Prince seien noch immer etwa 609 000 Menschen ohne jegliches Obdach, berichtete die UN-Organisation für Migration (IOM) in Genf unter Berufung auf die Regierung Haitis. Es würden dringend Zelte benötigt, sagte IOM-Sprecher Jean-Philippe Chauzy am Sonntag in Genf. Andererseits verließen immer mehr Bewohner die Hauptstadt: Mehr als 130 000 hätten bereits das Angebot der Regierung angenommen und seien in den Norden und den Südwesten gegangen.

In Port-au-Prince wurde am Samstag der Erzbischof von Haiti, Joseph Serge Miot, beigesetzt. «Diese Trauerfeier ist für alle, die ihre Angehörigen nicht beerdigen konnten, und für die Menschen, die für immer verschollen bleiben werden», sagte die aus Kolumbien stammende Nonne Lina. An der Trauerfeier nahm auch Präsident René Preval teil, der seit dem Beben kaum in der Öffentlichkeit erschienen war. Der Samstag war zudem zum Bußtag ernannt worden, weil viele Haitianer die Katastrophe vom 12. Januar für eine Strafe Gottes halten.

Der am Samstag gerettete Mann namens Wismond Exantus hatte elf Tage unter den Trümmern des Hotels «Napoli Inn» gelegen. Er hatte mit Klopfzeichen auf sich aufmerksam gemacht und überlebte in einem Hohlraum unter meterhohem Schutt. Er konnte sich mit Vorräten eines kleinen Hotel-Ladens am Leben erhalten. Nach seiner Rettung gab er an, in den ersten Tagen noch Geräusche anderer Überlebender in den Trümmern gehört zu haben - sie seien jedoch vor etwa zwei Tagen verstummt. Kurz vor der offiziellen Einstellung der Suche nach Überlebenden waren auch noch eine 84-Jährige und ein 21-Jähriger lebend aus den Trümmern gezogen worden. Der junge Mann soll seinen eigenen Urin getrunken haben, um seinen Durst zu stillen.

Regierung stoppt Adoptionen

Informationsministerin Marie-Laurence Jocelyn Lassègue sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa, die Regierung habe neue Adoptionen vorerst gestoppt. Nur solche Adoptionen haitianischer Kinder würden erlaubt, die bereits positiv beschieden waren. Nach dem Beben hatte es Berichte über einen zunehmenden Kinderhandel in Haiti gegeben. Nach Angaben der Regierung existieren im Erdbebengebiet etwa 330 wilde Camps mit je Tausenden von Obdachlosen. Die Regierung schicke jetzt verstärkt medizinische Dienste dorthin, um Verletzte zu suchen und sie angemessen medizinisch zu behandeln, sagte die Ministerin.

Aus Deutschland soll am Montag ein vom Technischen Hilfswerk organisierter Flug insgesamt 75 Tonnen Hilfsgüter nach Haiti bringen. Darunter sind auch 24 Tonnen der «Aktion Deutschland Hilft»; dazu gehören unter anderem vier Anlangen zur Aufbereitung von Trinkwaser, Labormaterial, zwei Geländewagen mit einem Anhänger und drei Generatoren zur Stromerzeugung, wie das 2001 gegründete Bündnis von zehn großen deutschen Hilfsorganisationen am Sonntag mitteilte.

Die Verteilung von Lebensmitteln war jedoch immer noch ein Alptraum für die Helfer. Die Organisationen haben Angst, dass es unter den Hungernden zu Ausschreitungen kommen kann. In Port-au-Prince setzten Polizeikräfte am Samstag Warnschüsse und Tränengas ein, um den Ansturm in Schach zu halten.

Auch Helfer brauchen Hilfe

Ärzte ohne Grenzen betonte, dass sie zunehmend Patienten mit Infektionen und Komplikationen behandeln müssten. Diese Probleme seien eine Folge nur einfacher oder von Laien durchgeführter Behandlungsversuche der ersten Tage nach dem Beben. Zudem seien Psychologen im Einsatz, die Patienten, aber auch den Helfern selbst beistehen, die zum Zeitpunkt des Erdbebens im Land waren und durch die schrecklichen Ereignisse schwere Traumata erlitten haben.

Dank der internationalen Hilfe und Arbeit tausender Helfer konnte das Leiden der bis zu drei Millionen Betroffenen dennoch etwas gelindert werden. Erstmals machten auch wieder Banken, Restaurants oder Supermärkte auf. Nach Angaben des UN-Büros zur Nothilfe-Koordinierung in New York (OCHA) sind auch 30 Prozent der Tankstellen wieder in Betrieb.

Als Vorbereitung einer für März geplanten Geberkonferenz für den Wiederaufbau Haitis wollten bereits ab diesem Sonntag mehr als 20 Länder im kanadischen Montréal diskutieren. Zu dem Krisentreffen reisen unter anderem US-Außenministerin Hillary Clinton sowie ihr französischer Kollege Bernard Kouchner an.

Die europäischen Außenminister wollen an diesem Montag über eine langfristige Wiederaufbauhilfe für den Karibik-Staat sprechen. Die Vereinten Nationen haben die Entsendung von 400 Polizisten angefragt; da in Haiti neben Kreolisch auch Französisch gesprochen wird, will vor allem Frankreich Gendarmen entsenden.

Die Bundesregierung stockte ihre Soforthilfe für Haiti weiter auf. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) stellte weitere fünf Millionen Euro bereit, um den vielen Obdachlosen schnell eine Unterkunft zu bauen, teilte das Ministerium mit.

Die Spendengala vor allem amerikanischer Stars - unter anderem mit George Clooney oder Madonna - hat derweil fast 60 Millionen Dollar (42,5 Millionen Euro) eingebracht. Dabei würden die Spenden auch am Tag nach der Veranstaltung aus Los Angeles, New York und London nicht abreißen, berichtete CNN am Sonntagmorgen (MEZ). Nach Angaben des Senders ist dieser Betrag ein Rekord für eine Spendenshow nach einer Naturkatastrophe.

Von Jan-Uwe Ronneburger, dpa