1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. "Horrorhaus von Höxter" : "Horrorhaus von Höxter" : Mordprozess gegen Folter-Ehepaar hat begonnen

"Horrorhaus von Höxter"  "Horrorhaus von Höxter" : Mordprozess gegen Folter-Ehepaar hat begonnen

Von Barbara Cepielik 26.10.2016, 11:27
Der Angeklagte Wilfried W. besteht nicht darauf, dass sein Gesicht in den Medien unkenntlich gemacht wird.
Der Angeklagte Wilfried W. besteht nicht darauf, dass sein Gesicht in den Medien unkenntlich gemacht wird. dpa

Paderborn - Die Angeklagte tritt der Phalanx von Fotografen und Kameraleuten mit der üblichen Aktenmappe vor dem Gesicht entgegen, man kann Angelika W. kaum erkennen. Wenige Minuten später aber tritt ihr geschiedener Ehemann Wilfried auf, umrahmt von seinen Anwälten. Kurze grau-braune Haare, Bart, Brille, Reißverschlusspullover – und er blickt in die Objektive. Minutenlang. Es sei, hat einer der Anwälte vorher wissen lassen, nicht nötig, seinen Mandanten unkenntlich machen.

Und dem Mann, der wie seine von ihm geschiedene Ehefrau des zweifachen Mordes durch Unterlassen angeklagt ist und mit ihr zwei weitere Opfer körperlich schwer misshandelt haben soll, scheint den Auftritt zu genießen. So beginnt der erste Prozesstag vor dem Landgericht in Paderborn, der den Psychoterror und die grauenhaften Folterungen und Misshandlungen in dem abgelegenen Gehöft in Höxter aufarbeiten soll, deren Bekanntwerden im Frühjahr bundesweit bizarre Schlagzeilen machte.

Der Oberstaatanwalt verliest die Anklage schnell, rasend schnell – und doch ist es nahezu unerträglich, der Schilderung brutalen, menschenverachtenden Taten zu folgen. Die 47-jährige Angeklagte – unauffälliges Gesicht mit dicker Nase, Pottschnitt – und ihr ein Jahr jüngerer Mann waren schon geschieden, lebten aber noch zusammen, als sie befanden, eine dritte Gespielin müsse ins Haus. Willigte Angelika W. ein, weil sie selbst nicht mehr länger das Objekt der widerlichen Angriffe des Mannes sein wollte? Sie gaben sich als Geschwisterpaar aus, Wilfried köderte die Frauen über Anzeigen.

Annika (33) aus Uslar zog nach kurzer Anbahnungszeit in das Gebäude ein, das später „Horrorhaus von Höxter“ genannt wurde; sie heiratete ihren Peiniger nach wenigen Wochen. Bewusst, so die Anklage, habe das Paar Frauen ohne soziale Kontakte ausgewählt – Hilferufe wären ins Leere gegangen.

Annika lebte wie eine Leibeigene

Angelika und Wilfried sowie seine neue Ehefrau lebten und schliefen in dem einzigen beheizbaren Raum. Es sei dem Paar, so referiert der Oberstaatsanwalt, um Machausübung gegangen. Sie hätten den Willen der Frauen brechen und sie gefügig machen wollen, sie wie Leibeigene behandelt. Aus nichtigem Anlass hätten beide – das geht aus den geständigen Aussagen der Angeklagten im Ermittlungsverfahren hervor – die Frauen gedemütigt, geschlagen, sie verbrüht.

Wissend, dass die erste Frau an einer Glutamat-Allergie litt, habe man ihr just diesen Stoff verabreicht. Annika musste nachts an eine Heizung angekettet schlafen, ihr wurde verboten, nach 21 Uhr zu trinken oder das WC zu benutzen. Weil sich das Paar vom Klappern der Ketten an der Heizung gestört fühlte, wurde die körperlich und seelisch schon gebrochene Frau zum Übernachten in eine Badewanne in den Keller gebracht, auch dort schlief sie an Händen und Füßen gefesselt. Einmal habe Angelika W. Wasser in die Wanne laufen lassen, wissend, dass die wehrlose Frau sich nicht befreien konnte. „Ich habe Wasser aufgedreht“ will sie gesagt haben, „gleich ersäuft sie.“ Nach Tagen und Wochen des Martyriums gelingt es der abgemagerten, kahlgeschorenen nackten Frau mit blutenden nässenden Wunden am ganzen Körper, sich auf allen Vieren bis in den Hof zu flüchten. Doch sie wird abgefangen – und stirbt an den schweren Verletzungen der dann noch folgenden Attacken. Ihre Leiche zerstückelten die Angeklagten und verbrennen sie.

Annika war nicht das einzige Opfer

Anfang 2016 folgt die Annäherung an das zweite Opfer – Susanne F. (41). Die gleiche „Große-Liebe-Masche“ von  Wilfried W. Susanne F. zieh ein, geht nach einigen Woche wieder, um nach sechs Tagen Pause zurückzukehren an den Ort ihrer Qualen. Tägliches Armumdrehen, Würgen, Treten, Quälereien mit einem glühenden Haken. Mitte April ist die Frau derart körperlich und psychisch zugrunde gerichtet, dass Lebensgefahr besteht – das, so die Anklage hätten auch die Angeklagten erkannt.

Sie verfrachten die Frau, die kaum noch Herr ihrer Sinne ist, ins Auto, um sie in ihre Heimatstadt zurückzubringen; das Paar hat eine Autopanne, will Susanne F. erst in ein Taxi setzen, bekommt dann aber Panik. Ein Rettungswagen wird gerufen, Susanne F. stirbt zwei Tage später. Sie war nicht das einzige Opfer des Paares – aber wohl das letzte. Neben den beiden Morden werden auch die Schicksale zweier weiterer Frauen behandelt, die misshandelt wurden – sich dem Horror aber entziehen konnten. Es wird nicht ausgeschlossen, dass das bizarre Paar noch weitere Frauen angelockt, um große Geldsummen erleichtert und gequält hat, die Ermittlungen dauern an.

Die Angeklagten verfolgen diese Worte des Grauens scheinbar ungerührt. Wilfried W. werde sich über eine Verteidiger-Erklärung äußern, kündigt sein Anwalt an, aber erst, wenn ein neues psychiatrisches Gutachten über ihn vorliegt. Das bisherige sei nicht sachkundig und beinhalte Widersprüche.

Der Gutachter – er spricht von einer „sadistischen Persönlichkeitsstörung und einer psychopathischen Störung“ – berufe sich auf anerkannte Klassifizierungssysteme für psychische Anomalien, die inzwischen jedoch veraltet, die Kriterien inzwischen neu definiert seien. Ein solcher Experter, so der Verteidiger sinngemäß, dürfe nicht über seinen Mandanten entscheiden – also nicht darüber, ob Wilfried W. schuldfähig ist oder nicht, ob er also eine Haftstrafe verbüßt und danach möglicherweise in Sicherungsverwahrung bleibt – oder in einer psychiatrische Klinik eingewiesen wird.

Der Vorsitzende Richter – direkt vor seinem Mikrophon am Richtertisch ist gut ein christliches Holzkreuz zu sehen – hat schon vor Prozessbeginn Verhandlungstermine Ende März 2017 festgelegt; die Gutachterfrage, so sagt er zum Schluss des ersten Verhandlungstages, werde „die Angelegenheit nicht verkürzen“.