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Hessen Hessen: Geringe Strafe für Schulboykott

Von Chris Melzer 25.11.2009, 16:45
Familie Dudek im Landgericht Kassel. (FOTO: DDP)
Familie Dudek im Landgericht Kassel. (FOTO: DDP) ddp

Kassel/dpa. - Er argumentierte geschliffen, schaute interessiertdurch seine Goldrandbrille - und ist seit Mittwoch doch vorbestraft:Weil ein 48 Jahre alter Hesse seine sieben Kinder aus religiösenGründen nicht zur Schule schickte, hat das Landgericht Kassel denVater und und seine fünf Jahre jüngere Ehefrau zu einer Geldstrafevon jeweils 60 Euro verurteilt.

Der juristische Streit schwelt seit Jahren und hat mit demKasseler Urteil gewiss keinen Abschluss gefunden. Die christlichenFundamentalisten aus dem Örtchen Archfeld bei Eschwege weigern sichbeharrlich, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Seit sie denÄltesten noch im ersten Jahr aus der Schule geholt haben,unterrichten sie alle Kinder zu Hause. Der Publizist hat dafür sogarden Beruf an den Nagel gehängt, die neunköpfige Familie lebt vonKindergeld und Nachhilfestunden.

Vor Gericht stand das Paar nicht das erste Mal. Der vorläufigeHöhepunkt war vor anderthalb Jahren die Verurteilung zu drei MonatenHaft - ohne Bewährung. Schließlich hätten beide ja noch imGerichtssaal angekündigt, ihre Kinder weiter von der Schulefernzuhalten. «Kinder brauchen ein festes Wertegerüst, um dieZukunft bewältigen zu können», sagt der Vater. «Und solch ein Gerüstkönnen ihnen die staatlichen Schulen nicht geben, ja sie zerstören eszum Teil sogar.»

Dabei ist, das räumt sogar die Staatsanwaltschaft ein, derUnterricht der beiden sehr gut. Klassenbücher gibt es ebenso wieFerien, die Kinder sprechen ein passables Englisch oder Französisch.Der älteste hat an einer ordentlichen Realschule die Prüfung gemachtund bestanden - mit 1,1.

«Sie leben in einer Gesellschaft und müssen sich nach deren Normenrichten», hielt der Richter dem Paar dennoch vor. «Sie können auchnicht das Rechtsfahrgebot auf der Straße missachten, nur weil Siealle umkurven können. Dann wollen das andere auch und das Chaos wäreda.» Außerdem würde den Kindern vorgelebt, dass Gesetze, die nichtpassen, einfach ignoriert werden könnten. Die Strafe klingt dennochmild: 60 Tagessätze zu gerade einem Euro muss jeder zahlen. «Aber mit60 Tagessätzen sind Sie vorbestraft. Und wenn es eine neueVerurteilung gibt, heißt das Haft.»

Das scheint das Ehepaar nicht zu stören. Sie sonnen sich in derSolidarität ihrer Unterstützer. Etwa 30 sind ins Landgerichtgekommen; die Frauen mit weiten schwarzen Röcken und ernstem Blickunter dem Kopftuch, die Männer mit dem Selbstbewusstsein in denAugen, unbedingt das richtige zu tun. Die Kinder, die auch währendder Urteilsverkündung herumspringen, sehen mit Strickkleidern undZöpfen aus wie aus den ersten farbigen Heimatfilmen.

Dass das Ehepaar aufgibt, glaubt hier keiner. «Es wird für Siespannend bleiben», sagt der Vater lächelnd zu den wartendenJournalisten. «Wir halten an Glauben und Gewissen fest. Wir habenkeine Wahl.» Obwohl er den Richter lobt, scheint der keine rechteInstanz für ihn zu sein: «Das Recht ist am bestem bei dem aufgehoben,der uns diese Kinder anvertraut hat. Der weiß mehr über Schuld undUnschuld, denn er ist vor 2000 Jahren für unsere Schuld gestorben.»

[Landgericht]: Frankfurter Straße 7, Kasseldpa me yyhe a3 ff

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