Gesellschaft Gesellschaft: Zurück zur Linken

München/dpa. - «Manche feiern den Tag der Rückschulung wie ihren zweitenGeburtstag», sagte die Psychotherapeutin Johanna Barbara Sattler.Das Projekt dürfe jedoch nur mit höchster Vorsicht und unterprofessioneller Begleitung angegangen werden. Denn das Gehirn müssesich neuerlich umstellen. Manche einer schaffe die Kehrtwende zurücknicht mehr.
Bereits die Ausrichtung in der Schule auf rechts habe bei vielenSchäden hinterlassen. Das reiche von ständiger Erschöpfung überKonzentrationsstörungen bis zu Migräne oder Lese- undRechtschreibschwäche, sagte Sattler, die vor 20 Jahren in München dieErste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder undumgeschulte Linkshänder gegründet hat. Bei Linkshändern ist dierechte Gehirnhälfte, die die linke Hand steuert, stärker motorischgeprägt - beim Umlernen gerät das Gehirn gehörig durcheinander.
Etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Schätzungen zufolgeLinkshänder, manche vermuten sogar, dass es bis zu 50 Prozent sind.Zu den berühmtesten deutschen Linkshändern zählten Johann Wolfgangvon Goethe, Wolfgang Amadeus Mozart und Albert Einstein. Auch derehemalige US-Präsident Bill Clinton und Tennisspielerin Monica Selessind Linkshänder.
Mit schlimmen Repressalien mussten Linkshänder in der NS-Zeitleben. Hitlers «Reichsführer SS» Heinrich Himmler gab 1935 eineStudie «Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit einerseits undgeistiger Verfassung der Homosexuellen andererseits» in Auftrag.Linkshänder und Schwule wurden darin als krankes Gesindel geächtet.Aber nicht nur in der Nazizeit, sondern lange davor und teils nochdanach wurde Linkshändigkeit als widernatürlich und minderwertigangesehen. Davon zeugen Redensarten wie «Zwei linke Hände haben» odersich «linkisch» anstellen. Bis in die 80er Jahre wurde versucht,Linkshänder umzuerziehen.
Heute hingegen ist Linkshändigkeit ein - wenngleich sehr kleiner -Wirtschaftsfaktor. Mehr als 30 Linkshänderläden bieten bundesweitviele Dinge des Alltags «andersherum» an: Korkenzieher, Soßenlöffel,Schäler, Scheren, Dosenöffner, aber auch Kartenspiele und Boomerangs.Mehrere Dutzend Linkshänder-Berater stehen Rat suchenden zur Seite.Solvejg Fiederling wusste bereits als Kind, dass sie Linkshänderinist. Denn auch Mutter, Onkel und Großvater machten alles mit links.«Bis zum sechsten Lebensjahr war alles in Ordnung, ich war einfröhliches Linkshänderkind.» Doch mit der Einschulung verlor sie ihreGeschicklichkeit, ihre Leistungen in der Schule schwankten stark,Gelerntes ließ sich nicht so abspulen wie nötig. «Ich war nicht mehrharmonisch. Das Hirn hatte sich verheddert.»
Später stieß sie auf die Münchner Beratungsstelle und entschlosssich zur Rückschulung. «Gesund ist das ja nicht, wenn man immer allesgegen seine Richtung macht», zitiert sie heute ihre damaligenÜberlegungen. «Wunder darf man sich davon nicht erhoffen, aber eswird vieles viel besser», sagt sie. Ihre Gedächtnisstörungen sindseitdem zurückgegangen, mit rechts schreibt sie heute nur noch aus«wissenschaftlichen Gründen», etwa, wenn jemand ihre Schrift sehenwill. Dabei gerät das Hirn wieder durcheinander, die Wirkung spürtsie sofort: «Wenn ich das tue, wird mir sofort übel.»
