Gesellschaft Gesellschaft: Lehrer zu schlagen ist erwünscht

Tecklenburg/dapd. - Der Hauptschullehrer Gerald Götz fordertseinen Schüler Carson Leeman auf, ihn fest zu schlagen. Der Teenagertraut sich nicht so recht. Doch sein Lehrer drängt ihn: «Du musstmit Kraft zuschlagen.» Beide tragen ein 900 Gramm schweres und 1,20langes Holzschwert in den Händen, das einem gotischen Langschwertnachempfunden ist.
Carson Leeman gehört zu einer Gruppe von neun Jungen und dreiMädchen, die an der bundesweit erstenSchwertkunst-Arbeitsgemeinschaft teilnehmen, die an einer Schuleangeboten wird. Schließlich schlägt der Schüler zögernd zu. Götzpariert den Schlag.
Moderne Schwertkunst ist eine Mischung aus frühneuzeitlicherFechtkunst und fernöstlichem Kampfsport. Der Historiker undKampfsport-Trainer Matthias Johannes Bauer hat im inzwischeneingestürzten Kölner Stadtarchiv Quellen aus der frühen Neuzeituntersucht, in der ein Fechtmeister aus dem Kölner Raum seine Kunsterklärt. Die Ergebnisse hat Bauer in dem Buch «Langes Schwert undSchweinespieß» veröffentlicht. In dem Verein Bai Lung e. V. inOsnabrück lehrt Bauer, diese Art zu fechten.
Gerald Götz ist Jugend- und Co-Trainer in dem Verein. Der großgewachsene und durchtrainierte Mann unterrichtet an der HauptschuleTecklenburg Englisch, Sport, Erdkunde und Geschichte. Die AG«Moderne Schwertkunst» bietet er seit diesem Schuljahr an. Götzleitet zudem einen Kurs an der Volkshochschule in Münster. Außer inMünster offeriert nur der Verein SC Borchen in der Nähe vonPaderborn Kurse in Moderner Schwertkunst in Nordrhein-Westfalen.
Das Zentrum dieser Sportart liegt in Bayern, wo es zahlreicheVereine gibt, die Moderne Schwertkunst lehren. Dabei handele es sichnicht um einen Vollkontakt-Sport, erklärt Götz. Sicherheit stehe anerster Stelle, ergänzt Bauer. Daher habe er den bisher einzigenFachverband für Moderne Schwertkunst in Deutschland gegründet, derauch im Deutschen Olympischen Sportbund organisiert ist. «Dadurchsind die Mitglieder des Verbands versichert, falls mal etwaspassiert», sagt Bauer.
Bevor die Jugendlichen mit Schwertern zuschlagen dürfen,trainiert Götz mit ihnen Koordinationsübungen. Nicht jedem Schülerfällt es leicht, zum Beispiel die Arme in Schulterhöhe zu heben, sieab dem Ellbogen zu knicken und in entgegen gesetzter Richtungkreisen zu lassen. Götz bringt den Schülern auch Dinge bei, die überden Sportunterricht hinaus gehen: Disziplin, Respekt undHöflichkeit. Vor jedem Kampf verbeugen sich die Gegner und heißensich willkommen.
Svenja Kromrei glaubt, die Teilnahme an der AG bringe ihrDisziplin. Die 14-Jährige mit Zahnspange, rot gefärbten Haaren unddicken Kajal-Ringen um die Augen sagt: «Sonst würde ich den ganzenTag nur zu Hause vorm PC hocken.» Sie bezeichnet sich selbst als«Gamer». Die meiste Zeit verbringt sie spielend vor dem Computer.Die Moderne Schwertkunst hat es ihr angetan, weil die Bewegungen soelegant seien, meint sie.
Der ein Jahr jüngere Carson Leeman geht zu der AG, weil er lernenwill, sich selbst zu verteidigen und andere zu schützen. Der Jungespricht ruhig und besonnen, was er sagt, klingt vernünftig. Erselbst würde nie jemanden angreifen, sagt er. DochSelbstverteidigung erlernen die Schüler nach Angaben von Götz nichtbei ihm. Ihm gehe es vielmehr darum, das Körpergefühl und diemotorische Koordination seiner Eleven zu stärken. Gerade beiSchülern, die sich sonst wenig bewegen, gebe es da Defizite, sagtGötz. Einige kleine Erfolge habe er nach den ersten sieben Wochen,in denen die AG jetzt läuft, schon erkennen können.
Für Hauptschuldirektor Rudolf Grunden stellt die AG eineBereicherung dar. Die Schüler schlügen nicht aufeinander ein,sondern das Training laufe geregelt und diszipliniert ab. «Außerdemist alles durch die Berufsgenossenschaft und dieKrankenversicherungen abgesichert», sagt er. Auch bei derBezirksregierung Münster gibt es keine Bedenken gegen die Schul-AG.Gleichwohl schränkt Sprecher Thomas Drewitz ein, man habe keineErfahrungen mit der Modernen Schwertkunst. Er vergleicht dieSportart mit Judo oder Karate. «Dort werden auch keine Schüler zuSchlägern ausgebildet, sondern das Gegenteil», sagt er.