Geburtsort des Hamburgers Geburtsort des Hamburgers: «Louis' Lunch» ist eine berüchtigte Kultstätte in New Haven

New Haven/dpa. - Die zwei alten Männer auf den Kirchenstuhl-ähnlichen Bänken aufder anderen Seite des niedrigen Raums drehen sich neugierig um. Soähnlich spannungsgeladen muss es im Wilden Westen gewesen sein, wennder Fremde schweren Schrittes den Saloon betritt und an der Bar denWirt mit finsterer Stimme nach dem «verfluchten Sheriff» fragt.
Hier, in dem kleinen Lokal «Louis' Lunch», trägt zumindest niemandeinen Revolver. Der Wirt, Jeff Lassen, hantiert hinter der wuchtigen,bekritzelten Holztheke weiter an den uralten, metallenen Hamburger-Brätern, blickt kurz auf und verzieht kaum merklich das Gesicht.«Nein, Ketchup gibt es hier nicht», sagt der Mittdreißiger sehr kühl,fast unfreundlich. Gerade so, als ob er gerade geknurrt hätte, erhabe keine Ahnung, wo der Sheriff sei. Der irritierte Gast lachtverlegen und bemüht sich rasch, die spürbar peinliche Situation zubereinigen. Er sei aus Deutschland, ein Tourist, er dachte bloß, zumHamburger gebe es auch...
Der Mann aus Germany hätte seinen Reiseführer besser lesen sollen.Denn in der «ältesten Hamburger-Stube» der USA, dem «Geburtsort desHamburgers» in New Haven (US-Bundesstaat Connecticut) herrschen seitjeher strenge Sitten und rauhe Töne. Diese amerikanische Kultstätteder Imbisskultur etwas nördlich von New York ist seit Jahrzehntenberüchtigt für die launischen Besitzer und die rigiden Regeln. Aberder 1895 gegründete «Louis' Lunch» ist auch berühmt für erstklassigeHamburger, die so ganz und gar anders aussehen und schmecken als die«Macs», «Whopper» oder «Jumbojacks» in den über 100 000 Hamburger-Stationen der großen Imbiss-Ketten in den USA.
«Wir bereiten die Hamburger zu wie mein Urgroßvater vor über 100Jahren», berichtet stolz Jeff Lassen. Das Rezept für Louis' Hamburgerist simpel: Zwischen zwei krossen Toastscheiben - keine pappigenBrötchenhälften - gibt es eine satte Scheibe leicht gewürzten Rinder-Hackfleischs, mit etwas Zwiebeln und Tomatenscheiben belegt, daswär's. Das Fleisch ähnelt deutlich mehr einer deutschen Frikadelledenn den Industrie-genormten Flachscheiben der großen Fast-Food-Ketten. Und zum Hamburger gibt es weder Ketchup noch Mayonnaise nochSenf - nur wer sehr freundlich darum bittet, bekommt eine ScheibeKäse auf das klassischste aller amerikanischen Gerichte gelegt.
Hamburger in Louis' Lunch werden äußerst schonend zubereitet. Inden fast 80 Jahre alten Grill-Geräten werden die frischen, natürlichniemals tief gefrorenen, von Hand geformten flachen Fleischklopsesenkrecht hinein geschoben, so dass während des Grillvorgangs Fettheruntertropft und der Hamburger besonders mager wird. «Leiderbekommen wir nicht mehr die Qualität an Fleisch und auch an Tomaten,wie das vor Jahren noch möglich war», meint Lassen bedauernd undehrlich. Obwohl er auf den örtlichen Bauernmärkten einkaufe und besteLieferanten habe, «steckt doch überall schon Chemie drin».
Die Lassens sind seit jeher konservativ, direkt und stur.Besonders berüchtigt war Ken, der Vater des jetzigen Betreibers. DieLegende erzählt, dass er drängelnde oder nörgelnde Gäste auch malkurzerhand hinausschmiss. «Ich bin ein ruhigerer Typ», meinte Jefflachend, aber so ganz will man es ihm nicht glauben. Besonders stolzsind die Lassens, dass sie allen Verlockungen der Hamburger-Industriewiderstanden haben. «Millionen» habe der Gigant «MacDonalds» einstgeboten, um aus dem pittoresken roten Backsteinbau mit den unzähligenKüchen- und Kneipen-Utensilien und den Tiffany-Lampen an der Deckeein «Hamburger-Museum» machen.
«Niemals verkaufen wir den Laden», betont Jeff Lassen. Geld seinicht alles, Tradition und Prinzipien ließen sich nicht mit Geldaufwiegen. Also steht er, unterstützt zuweilen von Kumpeln oderAushilfen, bis zu 17 Stunden am Tag hinter den Tresen. Neben demKlassiker der Imbisstube gibt es auch Steak-Sandwiches, Hot Dogs undeinen besonders gerühmten, hausgemachten Kartoffelsalat. Zuweilenmüssen die Kunden lange warten: Denn mehr als sechs Hamburgergleichzeitig verkraften die alten Geräte nicht, ebenso, wie die antikanmutenden Toaster.
«Wir sind stolz, dass es hier diesen Laden gibt, aber ich komme,weil es hier die besten Hamburger der Welt gibt», meint die jungeLindy Clarks. Zustimmendes Gemurmel von den Umstehenden belegen, dassLouis' Lunch eine feste Fan-Gemeinde hat. Oft genug verirrt sich auchProminenz hierher. Wie zum Beispiel die Töchter von US-PräsidentGeorge W. Bush, die wie einst ihr Vater an der nahen Elite-Universität Yale studieren. Auf die Frage, ob die übrige Bush-Familie, die hier lange wohnte, häufig gekommen sei, gibt es eineauffallend ausweichende Antwort. «Ja, das weiß ich nicht so genau, damüsste ich mal Papa fragen», so Jeff - vielleicht ist er nur soverhalten, weil in New Haven, einer Hochburg der amerikanischenLiberalen, die Bush-Familie nicht besonders populär ist.
Die Lassens und die Stadtväter wissen sehr wohl, dass sie in denUSA nicht die einzigen sind, die beanspruchen, Erfinder desHamburgers zu sein. Niemand bezweifelt, dass historisch dieGeschichte des populärsten Fleischstücks der Welt vor 800 Jahren mitden Tataren begann, die auf ihren langen Ritten durch die asiatischenSteppen Rindfleisch unter ihre Sättel legten, damit es weich wurdeund gehackt werden konnte - um es dann roh zu verspeisen.
Über die weitere Geschichte des Hamburgers streitet die Imbiss-Welt. Selbst über die Frage, ob die Stadt Hamburg etwas mit demHamburger zu tun habe, gibt es keine Einigkeit. Ohne Zweifel brachtenEinwanderer im 18. Jahrhundert europäische Speisen mit, so auch das«Hamburger Steak», das aber ein ziemlich normales Bratenstück war.Ende des 19. Jahrhunderts tauchten dann vielerorts Hackfleischklopsezwischen zwei Brötchenhälften auf.
Neben der Familie Louis behaupten neben anderen auch die Nagreensin Seymour (Wisconsin) oder die Menches Brothers in Erie County beiBuffalo (Staat New York) als erste - nämlich im Jahr 1885 - denGeistesblitz gehabt zu haben, ein gehacktes Hamburger-Steak in einBrötchen zu kleiden. Gehässige Stimmen in New Haven behaupten, LouisLassen habe den Hamburger erfunden, um die Essensreste von richtigenSteaks nochmal richtig zu verwerten.
Heutzutage gilt Louis' Lunch, die laut der US-Kongressbibliothekzum «Kulturerbe Connecticuts» gehört, nicht nur wegen der Imbiss-Delikatesse als ein Geheimtipp. Hier befriedigten, so das Gerücht,die schönen jungen Frauen der Stadt ihre Gelüste nach Fast Food. Dennniemand bereite Hamburger gesünder und kalorienbewusster zu alsLassen. Tatsächlich fällt in Louis' Lunch die Zahl schlanker, modischgekleideter Frauen auf. Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, würde esgenügen, einfach nach Ketchup zu fragen.