Gastrosexuell Gastrosexuell: Wenn Er das Kochen liebt

Halle (Saale) - Bei Carsten Otte fing es vor vier, fünf Jahren an. Das mit dem Kochen uferte bei ihm, damals Ende dreißig, beinahe aus. „Irgendwann“, erzählt der Journalist und Autor heute, „habe ich mich gefragt: Bist du krank?“ Nein, nicht krank - nur gastrosexuell.
Gastrosexuell. Ein Wort, bei dem die Leute hellhörig werden. Welche Spielart der Lust ist das denn?
Es war 2012, als in der „Welt am Sonntag“ ein Artikel erschien unter der Überschrift „Huch, mein Mann ist gastrosexuell“ - und Carsten Otte endlich wusste, woran er mit seiner Kochleidenschaft war. Darin beschrieb die Autorin Brenda Strohmaier einen Trend, wonach Männer immer öfter die Küche zum Hobbykeller verwandeln - und kulinarische Fertigkeiten als Statussymbol sehen. Sie schrieb: „So wie der metrosexuelle Mann zur Freude und mithilfe der Kosmetikindustrie entdeckt hat, dass man mit gepflegtem Äußeren punkten kann, rüstet der gastrosexuelle nun eben wieder mit den Waffen der Frau nach.“
"Männer sind da tatsächlich so etwas wie ein Wirtschaftsfaktor"
Sie erinnern sich: an jene Zeit, da Fußballer David Beckham mit Bändern im schulterlangen Haar und ausgeprägtem Faible für Mode der Wortneuschöpfung „metrosexuell“ ein Gesicht gab. Er war einer jener heterosexuellen Männer, die mutmaßlich länger im Bad brauchten als ihre Frauen (auch wenn das bei einer wie Victoria Beckham nicht ganz sicher ist). Diese Männer pflegten und prägten einen neuen Lebensstil. Nun also die Küche.
Carsten Otte, der Autor, begab sich nach der Lektüre des Artikels emsig auf Recherche. Und stellte fest: „Der gastrosexuelle Mann ist wirklich ein gesellschaftliches Phänomen.“ Küchen- und Küchengerätehersteller haben diese wachsende Zielgruppe längst für sich entdeckt. „Männer sind da tatsächlich so etwas wie ein Wirtschaftsfaktor“, sagt Otte. Oft sehen Küchen heute so aus: „Schwarz, Rot, klare Kante.“ Denn Männer mögen das. Die Entwicklung könne man auch an der unglaublichen Anzahl von Männerkochkursen ablesen. Der 42-Jährige selbst hat einmal ein Selber-Wursten-Seminar besucht. „Da war nur eine Frau.“
Anders, als das Klischee es oft besagt, handele es sich bei den gastrosexuellen Männern nicht allein um gut betuchte Herren, die mit ihrer Kochkunst vor allem eines wollen: protzen. „Die Männer, die die Küche für sich erobern, kommen aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus.“ Vom Studenten bis zum Maschinenbauer, vom Handwerker bis zum Geschäftsmann. In seinem Buch „Der gastrosexuelle Mann“ stellt Carsten Otte amüsant und locker Männer vor, die von sich sagen, zu jener sich verbreitenden Spezies zu gehören. Männer, die sich mit Tonkabohnen und Amaranth auskennen, die feine Schäume kreieren und „Sous-vide“ kochen. Kurz: Ambitionierte Hobbyköche, deren Ansporn oft nichts weniger als die Spitzengastronomie ist.
Über Messer-Fetischisten und Anhimmler lesen Sie auf Seite 2.
Natürlich: Es gibt sie, die Messer-Fetischisten und Anhimmler anderer Geräte, die sich in die neueste Technik auch gerne einmal hineinsteigern. So, wie man sich das bei einem Mann eben vorstellt. Carsten Otte könnte ewig über seine viel zu teure Eismaschine plaudern - aber nicht wegen des Preises, sondern weil sie mehr kann als andere Maschinen. Etwa einen Eisblock zu Sorbet oder einer Mousse verarbeiten. Was danach kommt, sei pure Gaumenerotik. Und natürlich geht es diesen Männern ums Fachsimpeln, rund um ausgefallene Kochtechniken oder neue Errungenschaften in Form von Werkzeugen und Maschinen. Mit dem Grill oder Kaffeeautomaten fängt es oft an.
Doch vor allem geht es den Gastrosexuellen um den Genuss, den sie bevorzugt mit anderen teilen. Carsten Otte erzählt von Männern, die mit Vorliebe - und jedes Mal - vor dem Essen am Brot schnüffeln. Von Männern, die sagen: „Ich glaube, ich habe noch nie beim Sex Tränen in den Augen gehabt, aber beim Essen schon.“ Wobei der so leidenschaftlich kochende Mann besseren Sex habe als andere. Sagt jedenfalls Carsten Otte - mit einem Augenzwinkern, wie er anfügt. Liebe gehe schließlich durch den Magen. Und: „Männer, die kochen, haben es leichter bei Frauen.“ Kochen sei heute ein Statussymbol im gesellschaftlichen Sinne: „Mit einem tollen Auto oder der Mitgliedschaft im Schützenverein kann man nicht mehr punkten. Mit dem Hobby Kochen schon.“ Umso besser, wenn sich der Kochfreund nicht nur am Wochenende an den Herd stellt, um den Besuch zu beeindrucken, sondern auch im Alltagsgeschäft, bis hin zum Abwaschen, dabei bleibt. Und das tut er auch, wie der Autor festgestellt hat: „Es geht nicht nur um die große Show-Küche. Diese Hobbyköche wollen so sein wie die Profis und räumen hinterher auch selbst auf.“
In der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau habe sich ja bereits eine Menge geändert. Und das sich ändernde Männerbild zeige sich eben auch in der Entwicklung dieser neuen, kochverliebten Sorte Mann. Carsten Otte geht sogar so weit zu sagen: „Es werden zukünftig die Männer sein, die den Gaumen der Kinder prägen - nicht mehr nur Mütter und Omis.“ Er selbst hat den Babybrei für seine inzwischen sechsjährige Tochter damals jedenfalls sehr gern selber gekocht.
Carsten Otte: Der gastrosexuelle Mann. Kochen als Leidenschaft,
Campus Verlag, 256 Seiten, 24,99 Euro
