Frankreich Frankreich: Mammut-Prozess gegen 66 Kinderschänder beginnt

Angers/dpa. - Nur die Presse darfdabei sein.
Die 45 Kinder, während ihres Martyriums zwischen sechs Monaten undzwölf Jahren alt, mussten von Januar 1999 bis Februar 2002 «dieHölle» und eine «unaussprechliche Gewalt» ertragen, erläutertenPsychologen. Wie «Handelsware» wurden sie an Pädophile vermietet undzu übelsten Sexspielen gezwungen, vielfach nur für einNahrungsmittelpaket. Sogar Großeltern missbrauchten ihre Enkel, undauch eine ganze Reihe von Müttern schreckten nicht davor zurück,«aktiv» bei allem mitzumachen.
«Die Kinder sind seelisch zerstört und haben schwersteVerhaltensstörungen», beschreibt ein Gerichtspsychiater denLeidensweg der Sex-Opfer von Angers. «Sie sind so traumatisiert, dasssie kaum mehr in Anwesenheit von Erwachsenen essen können.» Anderewiederum sind äußerst aggressiv. Oder fast stumm. Ein kleines Mädchenbekommt immer Panik und brüllt aus Leibeskräften, sobald einErwachsener sich nähern will. Und eine Mutter kann ihre beiden damalsmissbrauchten Söhne nicht einen Moment aus den Augen lassen: «Sietreiben sofort Sex-Spiele miteinander, wenn man sie allein lässt.»
In diesem Sozialviertel am südlichen Rand der Bistumsstadt an derMaine mit seinen hellen und sauber gestrichenen Wohnblocks hat keineretwas von den hundertfachen Qualen der Kinder in dem «fürchterlichenAlbtraum» - so beschrieb es eine Kinderhilfsorganisation - gemerkt.Dabei waren die meisten Angeklagten den Sozialdiensten und in vielenFällen auch der Justiz bekannt - arbeitslos und unausgebildetschlugen sie sich mit Sozialhilfe durch oder bekamen, als behindertanerkannt, ein paar Euro. Alkoholiker, Vorbestrafte und Analphabetenprägen das soziale Milieu, in dem es dann offenbar nur noch einSchritt war bis zu dem reihenweisen sexuellen Missbrauch ausPerversion und Geldgier. Die heute angeklagt sind, sind oft selbstals Kinder missbraucht worden.
Erst als ein betroffenes junges Mädchen im Januar 2002 zur Polizeiging, kam das entsetzliche und lange Leiden der Kinder von Angers ansTageslicht. Die Ermittler kamen dann nach und nach den Tätern auf dieSpur, darunter 27 Frauen. «Es gibt kaum mehr Verhaltensunterschiedezwischen Frauen und Männern», sagt der Gerichtspsychiater ChristianGaussares. Er erklärt dies mit der gesellschaftlichen Entwicklung,auch wenn früher schon Söhne von ihren Müttern vergewaltigt wurden.Das soziale Milieu dürfte Scham und die letzten Hemmungen beseitigthaben: «Für diese Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, gibtes keine Grenzen mehr zwischen Gut und Böse», erläutert der Experte.
«Der Prozess muss einen kollektiven Elektroschock auslösen», sagtAlain Fouquet, einer der Anwälte der Kinder. «Ich erwarte von diesemVerfahren, dass an erster Stelle die Kinder angehört werden.» Erst inder nächsten Woche geht es um die eigentlichen Vorwürfe. Allein dreiTage sind dafür angesetzt, die 430 Seiten der Anklageschrift verlesenzu lassen. Der Prozess dauert bis Ende Juni. Vier Monate waren daraufverwandt worden, für das Verfahren eigens einen 360 Quadratmetergroßen Saal zu bauen. Den Angeklagten von Angers drohen Haftstrafenzwischen drei Jahren und - bei drei mutmaßlichen Wiederholungstätern- lebenslang.