Fortsetzung des Marco-Prozesses in Antalya verzögert sich
Antalya/dpa. - Die Fortsetzung des Missbrauchprozesses gegen den deutschen Schüler Marco hat sich am Dienstag im türkischen Antalya verzögert. Anders als an den vorangegangenen Prozesstagen wurde das Verfahren bis zur Mittagspause des Gerichts nicht aufgerufen.
Der seit sieben Monaten inhaftierte Junge aus dem niedersächsischen Uelzen ist angeklagt, in den Osterferien die 13-jährige Britin Charlotte sexuell missbraucht zu haben. Der 17-Jährige bestreitet den Vorwurf. Die schriftliche Aussage des in England vernommenen Mädchens lag dem Gericht auch am Dienstag noch nicht vor, wie Charlottes Anwalt Ömer Aycan erklärte
Nach Einschätzung eines Experten wird das Gericht allerdings in den kommenden fünf Wochen ein Urteil fällen müssen. Das Gericht in Antalya müsse dringend versuchen, zu einer verwertbaren Aussage der 13 Jahre alten britischen Belastungszeugin zu gelangen.
Anderenfalls bewege sich das Verfahren außerhalb des Rahmens der europäischen Menschenrechte, sagte Prof. Hans-Heiner Kühne im Deutschlandradio Kultur. Kühne ist der deutsche Berater in Menschenrechtsfragen für das türkische Außenministerium.
«Das Gericht muss sich jetzt sehr energisch darum bemühen, entweder mit einer richterlichen Vernehmung oder einer Videoschaltung mit Charlotte zu einer verwertbaren Aussage zu kommen. Alles andere führt zu nichts», sagte der Strafrechtler an der Universität Trier nach Angaben des Senders. Ansonsten müsse das Gericht auf Basis der vorhandenen Informationen sehr schnell zu einer Entscheidung kommen. «Wenn das nicht innerhalb der nächsten fünf Wochen geschieht, wird sich das Gericht außerhalb des Rahmens bewegen, der durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gesteckt ist.»
Der Rechtsexperte kritisierte das Vorgehen der deutschen Politik im Fall Marco. Die türkische Regierung in diesem Fall unter Druck zu setzen, «war das Dümmste, was man hat machen können».
Die Haftbedingungen von Marco sind nach Kühnes Einschätzung nicht schlimmer als in Deutschland. Im Gegensatz zum deutschen Vollzug sei es üblich, die Menschen in einer Gemeinschaftszelle unterzubringen und ihnen tagsüber mehr Bewegungsfreiheit zu gewähren. «Bei uns kann es einem Häftling blühen, dass er 23 Stunden allein in seiner Zelle hockt und nur eine Stunde Hofgang hat. Was für seine psychische und physische Gesundheit sehr viel schlechter ist, als das, was Marco im Augenblick erlebt.»