Forscherin aus Mitteldeutschland Forschung mit Schafen: Franziska Knolle arbeitet in Cambridge

Landläufig trauen viele Menschen den Schafen nicht besonders viel zu. Doch Forscher in Cambridge haben herausgefunden, dass Schafe menschliche Gesichter wiedererkennen. Eine der Wissenschaftlerinnen: Franziska Knolle, geboren in Halle.
Da muss man natürlich nachfragen, wie ein Landeskind erst zu wissenschaftlicher Karriere in England, und nun dank ihrer Forschung zu internationaler Aufmerksamkeit kommt. Und was eigentlich so spannend an den Schafen und ihrer Fähigkeit ist, Menschen wie ihre Artgenossen auseinanderzuhalten.
Beides können wir nun erklären. Denn Franziska Knolle ist das komplette Gegenteil dessen, was das Klischee über Forscher bietet, sie ist geradezu die personifizierte Werbung für ihre Branche: Offen, humorvoll und mit der Gabe gesegnet, die komplizierten Dinge, an denen sie arbeitet, so zu erklären, dass unsereins sie auch verstehen kann..
Franziska Knolle aus Halle forscht mit Schafen in Cambridge: Zielstrebige Karriere
Was die Karriere betrifft: Die ist zielstrebig verlaufen und durchaus rasant. Im Jahr 2003 hat die gebürtige Weißenfelserin, die im Alter von drei Monaten nach Halle exportiert wurde, an der Latina ihr Abitur abgelegt. Dann ging es zum Studium nach Leipzig, danach nach Padua in Italien und Boston in den USA.
Und seit drei Jahren lebt und arbeitet Franziska Knolle nun in Cambridge. Mit ihrem Mann, auch einem Forscher sowie zwei kleinen Kindern. Weiterer Nachwuchs, Zwillinge, ist unterwegs.
So viel erlebt mancher bis zur Rente nicht. Für die junge Frau ist es der Normalfall, sie macht kein Aufhebens davon. Und deshalb kommen wir auch schnell zum Kern der Sache - dem Versuch mit den Schafen. Die sich die Gesichter von Barack Obama, dem Amtsvorgänger Donald Trumps im Amt des US-Präsidenten, und der brritischen Schauspielerin Emma Watson merken konnten.
Das war natürlich ein Coup. Die Nachricht ist um die Welt gegangen. Das war schon gewollt. Aber dass es nun derart viel Aufmerksamkeit für ihre Arbeit gibt, hat Franziska Knolle doch überrascht. Zudem hatte die Wahl der prominenten „Kontaktpersonen“ auch noch einen ganz praktischen Grund: Von beiden, Obama wie Stone, waren hinreichend viele Bilder aufzutreiben - und in guter technischer Qualität.
Natürlich haben die Leute, die die Studie finanzierten, nicht den Spaß bezweckt. Und auch die Rehabilitierung des von vielen abschätzig angesehenen Schafes war nicht ihr Ziel. Hintergrund der Forschung, die mit zwölf gesunden Schafen begonnen hat und nun mit ebenso vielen genmanipulierten Tieren einer zweiten Gruppe fortgeführt wird, ist vielmehr eine schwere, tödlich verlaufende Erkrankung: Chorea Huntington, auch Huntington-Krankheit genannt.
Und früher oft als „Veitstanz“ bezeichnet, weil die Betroffenen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium unter unkontrollierbaren Bewegungsstörungen leiden, wie Franziska Knolle erklärt.
Forschung mit Schafen in Cambridge soll die Diagnose von Chorea Huntington erleichtern
Heilen wird man die durch einen seltenen Gendefekt ausgelöste Krankheit anhand ihrer Forschungsergebnisse nicht können. Aber früher erkennen. Und damit eben auch die Möglichkeit haben, die Lebensqualität der Patienten durch Medikamente zu verbessern.
Denn vor den motorischen Störungen, die den Ausbruch der Krankheit sichtlich manifestieren, meist um das 35. Lebensjahr, treten Defizite in der Fähigkeit auf, eigentlich vertraute Personen wiederzuerkennen.
Wie genau sich das abspielt, soll nun beobachtet werden, nachdem nachgewiesen worden ist, dass Schafe in dieser Hinsicht ähnlich wie Menschen ticken. Tiere, die mit genetischem Material, das Chorea Huntington in sich trägt, quasi „infiziert“ wurden, werden Erkenntnisse liefern, wie früh es schon zum Verlust des Wiedererkennens Dritter kommt.
Daraus werden sich Schlussfolgerungen für den Menschen ableiten lassen - besonders natürlich auch für das soziale Umfeld eines Erkrankten, dem diese Störung selbst zumeist erst viel später auffällt als etwa seinen Angehörigen oder Kollegen.
Dieser Dienst ist es also, den die zur Krankheit bestimmten Merino-Schafe zu leisten haben. Und mit dem Leben bezahlen werden. Gibt es da nicht auch ethische Bedenken? Franziska Knolle sagt, sie stehe der Tierforschung durchaus kritisch gegenüber. Wenn sie zum Einsatz kommt, müsse das ethisch gut begründbar sein. In diesem Fall aber geht es ohne Tiere nicht. Und es müssen Schafe sein - wegen ihres beschriebenen Talents.
Mäuse dagegen wären nicht infrage gekommen, weil sie nicht alt genug werden. Und Affen schieden als Probanden aus, weil man die unter Chorea Huntington leidenden Tiere isolieren müsste - von der Gruppe würden sie nicht nur ausgeschlossen, sondern durch die gesunden Artgenossen getötet werden. „Bei Schafen ist das anders“, sagt Franziska Knolle: „Hier gibt es das soziale Problem nicht.“
Und überhaupt: Die Tiere würden rundum „bemuttert“, sie sollen sich auf der kleinen Campus-Farm so wohl wie nur irgend möglich fühlen. Hört man der Forscherin zu, wird man ihr die Liebe zu den Tieren sofort abkaufen. Rosalyn, eines der Schafe, hat sie an ihrem Arbeitsplatz besucht: „Sie hat sie den Kopf einfach durch die Tür geschoben.“
Überhaupt hätten alle sehr individuelle Persönlichkeiten, „das ist herrlich. Ada ist immer neben mir her gejoggt, wenn ich sie von der Weide zum Testraum geführt habe, sie hat es einfach geliebt, wie ein Hund neben mir her zu springen“. Das heißt, nicht nur Barack Obama, sondern auch sie wurde erkannt? Die Antwort ist ein klares Ja.
Forscherin Franziska Knolle: Rückkehr nach Deutschland geplant
Inzwischen ist Franziska Knolle aus dem Programm ausgestiegen, ihre kognitiven Tests werden von anderen weitergeführt. Sie widmet sich wieder menschlichen Patienten, will den Fortgang der Forschung an den Schafen aber aufmerksam verfolgen.
In England wird die bald sechsköpfige Familie noch für ein paar Jahre bleiben, dann ist die Rückkehr nach Deutschland geplant. Auch der Kinder und der Schule wegen. Und wegen des Brexit und seiner unkalkulierbaren Folgen? Viel hab sie davon bisher nicht mitbekommen, „Cambridge ist ja auch eine große Blase“.
Aber, sagt Franziska Knolle, einfacher würde es für die Wissenschaft auf der Insel gewiss nicht, wenn europäische Forschungsgelder eines Tages nicht mehr fließen: „Das wird die britische Regierung allein kaum aufbringen können.“
Ach, und eines besprechen wir noch, eher am Rande: Chorea Huntington, hat Franziska Knolle gesagt, trete zwar generell sehr, sehr selten auf - vergleichsweise häufiger aber anscheinend in abgeschlossenen Populationen, in denen weniger an genetischer „Auffrischung“ und Mischung stattfindet. Das, sollte man meinen, wäre jedenfalls ein Punkt, über den jene, die für strikte Abschottung von Fremden sind, einmal nachdenken sollten. (mz)
