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Fall Stephanie Fall Stephanie: Entführt, misshandelt und vergewaltigt

Von Jörg Schurig 01.11.2006, 10:18

Dresden/dpa. - Ein vorbestrafter Sexualstraftäter zerrte das Kindins Auto und verschleppte es in seine Wohnung, die nur 500 Meter vomZuhause des Mädchens entfernt lag. Fünf Wochen blieb Stephanie in derGewalt eines brutalen Verbrechers - tagtäglich gedemütigt,misshandelt und vergewaltigt. Vom 6. November an wird dem 36 Jahre alten Angeklagten am Dresdner Landgericht der Prozess gemacht.

Stephanie selbst hat die Polizei auf die Spur ihres Peinigersgebracht. Auch jetzt beweist sie Mut. Im Prozess möchte sie gegen ihnaussagen. Fachleute haben davor gewarnt, auch wenn sich Opfer undTäter im Gerichtssaal nicht direkt begegnen sollen. Gutachter StephanSutarski sieht unkalkulierbare Belastungen. «Das ist ja schließlichkeine psychotherapeutische Situation.» Die Staatsanwaltschaft Dresdenwill das Gericht darin unterstützen, dass die Vernehmung so schonendwie möglich vonstatten geht. Dennoch bleibt ein Risiko, sind sichviele Experten einig.

Die Leidensgeschichte Stephanies macht fassungslos. Nach eigenenAussagen wurde das Mädchen gefesselt, geknebelt und in eine Kistegesperrt, wenn der Täter die Wohnung verließ. Vergewaltigungen undMisshandlungen gehörten zum Alltag. Viele Taten hat der Angeklagtegefilmt und damit selbst für eine erdrückende Beweislast gesorgt.Außerdem soll er Stephanie mit Rache und Tod gedroht haben, wennsie bei gelegentlichen nächtlichen «Spaziergängen» auf sichaufmerksam mache. Flucht sei sinnlos, habe er gesagt. Bei dieserBrutalität musste die Schülerin mit dem Schlimmsten rechnen.

Dass Stephanie zum Fall der Medienwelt wurde, hängt wohl auch mitdem Schicksal der Österreicherin Natascha Kampusch zusammen. Sieerlangte im Sommer nach achtjähriger Geiselhaft ihre Freiheit wiederund äußerte sich anschließend selbstbewusst in der Öffentlichkeit.Stephanies Umfeld sorgte für ähnliche Aufmerksamkeit. Das Mädchen saßbei Johannes B. Kerner im Studio und gab im Nachrichtenmagazin«Spiegel» Auskunft über erlittene Pein. Als der Anwalt der Familievom Land Sachsen Schmerzensgeld und Therapiekosten von rund einerMillionen Euro verlangte, gab es neue Schlagzeilen.

In die geriet Sachsens Polizei schon unmittelbar nach der Rettungdes Mädchens am 15. Februar. Damals räumten die Beamten Fehler beider Fahndung ein. So war der Beschuldigte im Polizeicomputer nochunter einer früheren Adresse registriert und wurde zunächst mit einemfalschen Suchbegriff gejagt. Auch das Vorgehen beim Befreien desKindes löste Erstaunen aus. Als Beamte an der Tür des Geiselnehmersklingelten und keiner öffnete, forderten sie statt einesSpezialkommandos den Schlüsseldienst an. Stephanie war in dieser Lagenoch längere Zeit mit dem Tatverdächtigen allein.

Zehn Monate nach den Torturen ist Stephanie wieder eine Schülerinwie andere auch - scheinbar. Es gehe ihr «eigentlich ganz okay», hatsie bei Kerner gesagt. «Sie wird ihr Leben lang mit diesem Martyriumzu kämpfen haben», ist sich Jurist Thomas Kämmer sicher und erzählt,dass die Bilder der Taten bei dem Mädchen immer wiederkehren. EinUmstand dürfte Stephanie vielleicht helfen. Den entscheidendenSchritt zu ihrer Befreiung hat sie trotz massiver Bedrohung selbstausgelöst. Die Polizei kam dem Täter nur deshalb auf die Spur, weilStephanie einen Zettel mit Hilferuf nach draußen schmuggeln konnte.

Neun Verhandlungstage hat das Gericht zunächst angesetzt. ImDezember soll das Urteil fallen. Dem Beschuldigten droht einRichterspruch nahe der Höchststrafe - 15 Jahre Haft und anschließendeSicherungsverwahrung. Stephanie will, dass ihr Peiniger nie wieder inFreiheit kommt.