Kriminalität Experten: Fall in Zella-Mehlis absolute Ausnahme
Nach dem Fund eines Toten in Zella-Mehlis stehen auch Jugendliche unter Mordverdacht. Nicht nur wegen des Alters der Tatverdächtigen ist der Fall speziell, wie Experten einordnen.

Zella-Mehlis/Meiningen - Dass wie im aktuellen Fall aus Zella-Mehlis junge, weibliche Jugendliche als Tatverdächtige in einem Tötungsdelikt gelten, ist Fachleuten zufolge eine absolute Ausnahme. „Das ist ein neues Phänomen mit den Mädchen“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie Inés Brock-Harder.
Auch Bernd Holthusen vom Deutschen Jugendinstitut betonte, dass Jugendliche als Tatverdächtige bei gegen das Leben gerichteten Straftaten sehr selten seien: „Die Fallzahlen sind wirklich extrem gering und noch ungewöhnlicher sind Fälle, in denen Mädchen als tatverdächtig gelten.“
Auch 15- und 16-Jährige unter Mordverdacht
Nach dem Fund eines toten 23-Jährigen im Juni in einem Bachlauf in Zella-Mehlis (Landkreis Schmalkalden-Meiningen) stehen zwei 15 und 16 Jahre alte Mädchen sowie zwei junge Männer im Alter von 19 Jahren unter Mordverdacht. Aller vier sitzen in Untersuchungshaft. Strafmündigkeit beginnt nach deutschem Recht ab 14 Jahren, dann gilt zunächst das Jugendstrafrecht.
Brock-Harder erklärte, dass etwa ab dem Alter von zwölf Jahren der Körper beginne sich umzubauen, auch das Gehirn. Das könne etwa zu Stimmungsschwankungen und Körperwahrnehmungsstörungen führen. Auch körperliche Grenzen werden in der Pubertät ausgetestet. „Diese Entwicklungen sollten bei der Bewertung von Taten berücksichtigt werden, sind aber sicher keine Entschuldigung“, so die Psychotherapeutin.
Wenn die Hemmschwelle sinkt
Oft liege ein Bündel verschiedener Faktoren vor, wenn bei Jugendlichen die Hemmschwelle für gegen Leib und Leben gerichtete Gewalt sinke. Ein schwieriges Elternhaus könne eine Rolle spielen. „Oft sind auch die sozioökonomischen Bedingungen für diese Kinder schwierig – das soll aber nicht heißen, dass nicht auch Kinder aus betuchtem Haus Straftaten begehen“, so die Expertin weiter. Auch wenn positive Erfahrungen in der Schule ausblieben, könne das ein Faktor sein, ebenso wie Zugang zu gewaltverherrlichenden Inhalten im Internet.
Straftaten, die Kindern und Jugendlichen vorgeworfen werden, seien in der Regel spontan und situativ und nicht systematisch und geplant, sagte Holthusen. „Schwere Gewalttaten entstehen häufig aus eskalierenden Situationen heraus.“ Nicht untypisch sei es, dass es bei solchen Taten um Gruppendelikte gehe. „Gleichaltrige sind ein wichtiger Gruppenbezug für Jugendliche, da ist dann die Gruppendynamik ein Faktor und ob es deeskalierenden oder eskalierenden Einfluss gibt.“
U-Haft für jugendliche Mädchen ungewöhnlich
Ungewöhnlich sei dagegen, wenn vor allem weibliche Jugendliche tatsächlich in Untersuchungshaft kommen. „Eigentlich ist es im Jugendstrafrecht das oberste Ziel, Untersuchungshaft zu vermeiden oder kurz zu halten.“ Holthusen schätzt, dass in ganz Deutschland nur eine geringe zweistellige Zahl jugendlicher Mädchen überhaupt in U-Haft sitze.
Wichtig sei aus seiner Sicht auf Präventionsarbeit zu setzen, um schwere Gewalttaten durch Kinder und Jugendliche zu vermeiden. Es gehe darum, Kompetenzen zur Konfliktlösung ohne Gewalt zu vermitteln. Gleichzeitig räumte Holthusen ein, dass sich auch dramatische Einzelfälle nie komplett strukturell verhindern lassen können.