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Essen & Trinken Essen & Trinken: Dampfwurst mit viel Tunke

27.06.2003, 08:11

Berlin/dpa. - Ihr Misch-Geheimnis nahm Herta Heuwer 1999 mit ins Grab. Bis heuteblieb es so geschützt wie die Coca-Cola-Ingredienzien. Am 30. Juni2003 wäre die Erfinderin des Berliner Nationalgerichts 90 Jahre altgeworden. Zu Ruhm und Ehre der Schöpferin der von ihr so genanntenChillup-Sauce, enthüllt ihre Nichte Brigitte Böhme am historischenGeburtsort der Currywurst am kommenden Sonntag eine Gedenktafel.

   Die Konkurrenz ist stark, zumal in der Hauptstadt: Pizza, Gyros,Döner oder Baguette bedrängen die Currywurst, konnten sie aber nochlange nicht von Platz 1 ablösen. Der Berliner kann von seinerCurrywurst nicht lassen, auch wenn sie es ihm schwer macht. Denn sietrieft, kleckert. Man isst sie am besten im Stehen, weit von sich weggehalten, sonst sind Jackett und Hemd oder Kostüm und Bluse schnellhin. Wer hat sie nicht schon verdammt, wenn ein Stückchen bei einerunvorsichtigen Aufspießbewegung im hohen Bogen vom Plastik- oderHolzgäbelchen flutscht und die Soße wie in der Waschmittelwerbungaufs weiße Hemd spritzt?

   Ihr Rezept hat sich Herta Heuwer im Januar 1959 beim MünchenerPatentamt eintragen lassen, wie der Schriftsteller Gerd Rüdigernachwies. Er widersprach mit seiner Recherche auch dem Kollegen UweTimm, der an Hand seines Romans «Die Entdeckung der Currywurst» dieHamburgerin Lena Brücker zur Urheberin machen wollte. Sie sei, in dereinen Hand Curry, in der anderen Ketchup, auf einer Treppegestolpert. Unten angekommen, seien die Zutaten so glücklich vermengtgewesen, dass die Currywurst zu dem wurde, was sie eben ist. Doch dieBerliner Geschichte setzte sich zweifelsfrei durch. «Ich habe dasPatent, und damit Basta», pflegte Herta Heuwer zu sagen.

   Sie hielt dicht. Der Talkmaster Harald Schmidt verlieh ihr dafürdie Urkunde «Geheimnisträger 1. Klasse». An ihrem Imbiss hatte HertaHeuwer stolz ein Schild anbringen lassen: «Erste Currywurstbratereider Welt» stand darauf.

   Tausende solcher Buden folgten. Die Standardfragen der Damen vomGrill kennt jeder: «Mit oder ohne Darm?» und kurz und bündig«Scharf?» Die Standorte der Besten unter ihnen werden in praktischallen Kreisen der Bevölkerung per Flüsterpropaganda weitergegeben.Lange führte in Berlin «Konnopkes Imbiss» die Hit-Liste an. Vieleschwörten auch auf die Currywurstbude am Potsdamer Platz, die schonda war, als noch keines der Hochhäuser dort stand. Neuerdings starkgefragt sind die vier Stände, die wie ein Burg-Kareé denWittenbergplatz nahe des KaDeWe säumen. Bio und Neuland, heißt dortdie Zauberformel, welche die Currywurst in eine bessere, aber auchdeutlich teurere Zukunft führen soll.

   Ein Treffpunkt besonderer Art ist am Kurfürstendamm 195, wo dasangeblich bessere Publikum die Wurst schon mal bevorzugt nachts imPelzmantel isst und mit Champagner nachspült. Ein Renner ist auch«Freddys Currystation», die Stammbude von Gunter Gabriel auf derHalenseebrücke.

   Zweite Heimstatt der Currywurst ist übrigens das Ruhrgebiet.Weniger gut kommt sie im Süden an, wohl wegen der starken Konkurrenzdurch die Weißwurst. Im Pott aber hat sogar Herbert Grönemeyer seinHerz und seinen Geschmack für die Currywurst entdeckt. Der Pop-Bardesang im reviertypischen Slang: «Gehse inne Stadt, wat macht dich dasatt, ne Currywurst. Kommse vonne Schicht, wat schönret gibt etnicht, als wie Currywurst mit Pommes dabei, ach, dann gebe se gleichzwei Mal Currywurst.»