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Anschlag auf Weihnachtsmarkt Eskalation im Prozess gegen Magdeburger Todesfahrer

Bevor er über den Magdeburger Weihnachtsmarkt fuhr, lebte er zurückgezogen und in der digitalen Welt. Vor Gericht besteht er auf seiner Sicht der Dinge. Es eskaliert im Verhandlungssaal.

Von Dörthe Hein, dpa Aktualisiert: 25.11.2025, 16:23
Der angeklagte Taleb al-Abdulmohsen meldet sich im Strafprozess immer wieder zu Wort.
Der angeklagte Taleb al-Abdulmohsen meldet sich im Strafprozess immer wieder zu Wort. Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Magdeburg - Unzählige Male hat der Vorsitzende Richter den Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt an diesem Tag schon ermahnt, sich an die Regeln zu halten und nicht abzuschweifen. Kurz vor Ende des Verhandlungstages macht er seine Ankündigung wahr. Er schaltet dem 51-Jährigen in seiner Glaskabine das Mikrofon ab. Da eskaliert die Lage. Zuschauer sehen, wie die maskierten Spezialkräfte der Justiz den Angeklagten überwältigen. Er war aufgesprungen. Ein Zuschauer berichtet, er habe wohl in Richtung der Tür der Glaskabine gelangen wollen, in der er gemeinsam mit seinen Anwälten sitzt. 

Nach einer kurzen Pause sprach Sternberg in ruhiger Art von einem Ausraster des Angeklagten. An den wieder in den Saal geführten Taleb al-Abdulmohsen richtete er sich mit den Worten: „Ich verstehe, dass das Sie mitnimmt und dass es Ihr Thema ist. Bloß alles zu seiner Zeit.“ Im Prozessrecht gebe es bestimmte Möglichkeiten, zu fragen und zu erklären. Zu der Eskalation war es gekommen, während ein Gründungsmitglied einer Kölner Flüchtlingshilfeorganisation auf dem Zeugenstuhl saß. Gegen den Verein erhebt der Mann aus Saudi-Arabien massive Vorwürfe, in einem Zivilprozess unterlag er.

Der Angeklagte gerät in Rage

Der 51-Jährige meldet sich im Prozess immer wieder ausschweifend zu Wort, befragt Zeugen scharf und redet sich in Rage. Einen seiner ehemaligen Rechtsanwälte ging er am Dienstag vor Gericht massiv verbal an. „Er hat keine Ahnung“, sagte Taleb al-Abdulmohsen mehrfach über den Juristen. Der 51-Jährige aus Saudi-Arabien bat das Gericht, Ermittlungen gegen den Mann einzuleiten. Er zweifelte schließlich an, dass es sich um den Rechtsanwalt handele, mit dem er einst gesprochen habe. 

Der Angeklagte geriet so in Rage, dass sich Spezialkräfte der Justiz hinter ihn stellten. Sonst sitzen sie mit ihm in einer Glaskabine. Der Prozess findet unter besonders hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg sagte zu dem Angeklagten, der bis zur Tat als Psychiater im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter arbeitete: „Fahren Sie mal eine Stufe runter.“. 

„Es ging eigentlich immer nur um ihn selbst“

Zuvor hatte der Rechtsanwalt, der als Zeuge aussagte, mehrere Fragen des Angeklagten etwa zu Mails und Terminen nicht beantworten können. Der Jurist hatte den Angeklagten 2023 und 2024 im Zusammenhang mit einem zivilrechtlichen Verfahren vertreten. Er berichtete, al-Abdulmohsen sei von Anfang an sehr Ich-bezogen gewesen. „Es ging eigentlich immer nur um ihn selbst.“ 

Beim ersten Treffen sei er noch „sehr freundlich, sehr korrekt in seinem Auftreten“ gewesen. Das sei dann gekippt, als er ihm die fehlenden Erfolgsaussichten erklärt habe. Sein Mandant habe Tatsachenbehauptungen nicht beweisen können, sei ungeduldig geworden, Mails seien immer umfangreicher geworden. Nachdem das Mandat schon beendet gewesen sei, habe er eine Mail mit massiven Drohungen von al-Abdulmohsen erhalten. Der behauptete auch im Gericht wieder, der Anwalt habe Akten vor ihm versteckt.

Rechtsanwalt bezeichnet Angeklagten als „sehr massiv“

Ein zweiter Rechtsanwalt, der al-Abdulmohsen in verschiedenen Verfahren vertrat, bezeichnete ihn als „sehr massiv“. Er sei sehr engagiert gewesen und nicht bereit, nachzugeben. Er habe sein Anliegen mit Nachdruck verfolgt, habe immer sofort einen Termin haben wollen. Auch diesen Anwalt befragte der Angeklagte immer wieder zu Akten und deren Verbleib sowie zu Mails. Er machte ihm Vorwürfe, eine Fristverlängerung nicht in die Wege geleitet zu haben.

Kaum direkte soziale Kontakte, aber viele in der digitalen Welt

Ein Polizeibeamter, der nach der Tat im persönlichen Umfeld al-Abdulmohsens ermittelte, zeichnete von ihm ein Bild eines abgeschottet lebenden Menschen. Bei Befragungen in seiner ehemaligen Nachbarschaft in Bernburg hätten nur sehr wenige Menschen angegeben, ihn zu kennen. Vielmehr sei er aktiv in sozialen Netzwerken gewesen, weit mehr als 1.000 Posts bei X seien ausgewertet worden. „Es gab viele Kontakte, mit denen er kommuniziert hat“, so der Beamte. Im Zuge seines Asylaktivismus sei er von vielen Personen angeschrieben worden, etwa von Frauen aus dem arabischen Raum, die ihn zu Fragen zum Asyl und um Rat gebeten.

Auseinandersetzung mit einer Flüchtlingshilfe-Organisation

Im bisherigen Prozess hatte der Angeklagte wie auch schon in den Jahren vor seiner Tat immer wieder massive Vorwürfe gegen eine Kölner Flüchtlingshilfe-Organisation vorgebracht. In einem Zivilverfahren verlor der Angeklagte gegen den Verein. Ein Mitglied des Vereins berichtete, wie sich der Angeklagte 2017 bei ihm meldete und nach Hilfe für einen saudischen Flüchtling fragte, er habe den Kontakt zur Organisation vermittelt. 

Später habe sich die Wut al-Abdulmohsens in der Kommunikation auf der Plattform X gesteigert, seine Vorwürfe seien immer wirrer geworden, am Ende sei es nur noch Hetze gewesen. Er habe ihn daraufhin geblockt. Dieser habe die Organisation beschuldigt, hilfesuchende Frauen sexuell zu missbrauchen oder unter Druck zu setzen, auch gegen den deutschen Staat habe er Vorwürfe erhoben.

Der Vorsitzende Richter bremst den Angeklagten immer wieder

Ein Gründungsmitglied der Flüchtlingshilfe erklärte, aus Sicht der Organisationen seien nur Kleinigkeiten passiert, etwa habe man eine Handreichung des Angeklagten für Ex-Muslime als unbrauchbar zurückgewiesen. Für al-Abdulmohsen sei es offenbar anders gewesen, er habe dann zu Diffamierungen gegriffen.

Im Gerichtssaal holte der Angeklagte immer wieder weit aus und wurde vom Vorsitzenden Richter Sternberg gebremst. Fragen an die Zeugen seien erlaubt, keine langen Vorhalte. Und nach den Zeugenaussagen seien Erklärungen eben dazu möglich. Sternberg kündigte an, dem Angeklagten bei „Rundumschlägen“ das Mikrofon abzustellen. 

Angeklagter befindet sich weiter im Hungerstreik

Am 20. Dezember 2024 war der Mann aus Saudi-Arabien mit einem mehr als zwei Tonnen schweren und 340 PS starken Mietwagen mit bis zu 48 Stundenkilometern über den Weihnachtsmarkt gerast. Es starben sechs Menschen, mehr als 300 wurden verletzt. Al-Abdulmohsen hat die Tat gestanden. 

Immer wieder Thema im Prozess ist auch ein Hungerstreik des Angeklagten. Der Vorsitzende Richter Sternberg fragte ihn erneut, ob er sich verhandlungsfähig fühle. Der 51-Jährige antwortete mit einem klaren Ja. Nach eigenen Worten befindet er sich seit dem 10. November im Hungerstreik, an dem Tag hatte der Strafprozess gegen ihn begonnen. 

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann sollen die ersten Betroffenen der Tat als Zeugen zu Wort kommen.