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Beleghebammen Erste Hebammen kündigen wegen neuer Vergütungsregeln

Hebammen, die freiberuflich an Kliniken Geburten betreuen, fürchten deutliche Einkommenseinbußen. Einige machen deswegen einen harten Schnitt. Welche Folgen hat das?

Von David Hutzler, dpa 16.12.2025, 04:30
In Thüringen kündigen erste Hebammen wegen neuer Vergütungsregeln. (Symbolbild)
In Thüringen kündigen erste Hebammen wegen neuer Vergütungsregeln. (Symbolbild) Waltraud Grubitzsch/dpa

Erfurt - In mehreren Thüringer Kreißsälen kündigen Beleghebammen, weil sie wegen neuer Abrechnungsregeln Umsatzeinbußen befürchten. So berichtete etwa das Beleghebammenteam am Helios Klinikum in Erfurt von bereits drei Kündigungen. In Weimar kündigte eine Hebamme, zwei weitere kommen zunächst nicht aus der Elternzeit zurück, wie Kathrin Ritter vom dortigen Hebammenteam erzählte. 

„Ich liebe meinen Beruf. Aber wir können nicht nur von Luft und Liebe leben“, sagte Ritter. Sie und ihre Kolleginnen seien in „eine Art Depression“ gefallen, es fehle die Wertschätzung. Auch Grit Böhner, die leitende Hebamme am Helios Klinikum in Erfurt, sprach von einer „bodenlosen Frechheit“. Die Stimmung bei den 15 verbliebenen Hebammen sei schlecht, es gebe Existenzängste. 

Worum geht es eigentlich? 

Beleghebammen sind freiberufliche Hebammen, die in Geburtskliniken arbeiten und selbstständig Leistungen mit Krankenkassen abrechnen. In Thüringen gibt es laut Hebammenverband fünf solcher Belegteams mit etwa 45 Hebammen. Knapp jede vierte Geburt im Freistaat wird demnach von Beleghebammen begleitet. In anderen Bundesländern wie etwa Bayern machen sie einen deutlich größeren Teil der klinischen Geburtshilfe aus. 

Für freiberufliche Hebammen gilt seit 1. November ein neues Abrechnungssystem. Das ist das Ergebnis eines Schiedsspruchs, nachdem sich die gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Hebammenverbände zuvor nicht einigten. Der Deutsche Hebammenverband sieht dadurch besonders Beleghebammen benachteiligt und geht von Einkommenseinbußen von mindestens 20 Prozent aus. 

Was sagen die Krankenkassen? 

Der neue Vertrag soll vor allem die Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt fördern, wie der Verband der Ersatzkassen in Thüringen betont. Der Stundensatz für eine Geburt, bei der eine Hebamme nur eine Frau betreue, sei mehr als verdoppelt worden. „Durch die immer weiter sinkenden Geburtenzahlen in nahezu allen Regionen Thüringens ist dieses 1:1-Szenario auch zunehmend die Regel.“ Auf vielen Geburtsstationen liege die durchschnittliche Geburtenzahl bei maximal zwei am Tag, teils sogar unter eins.

Aber: Betreut eine Hebamme mehr als eine Frau, kann sie nicht wie bisher jeweils den vollen Stundensatz abrechnen. Sondern sie bekommt dann anteilig weniger - laut Hebammenverband pro Frau nur noch 30 Prozent des Satzes. Der GKV-Spitzenverband rechnet vor, dass die Vergütung für die persönliche Betreuung der Hebamme bei einer Frau und paralleler Überwachungen von zwei weiteren Frauen statt bisher bei 124,20 Euro nun bei 104,04 Euro liege.

Wie sich das am Ende wirklich in den Einkommen niederschlägt, darüber scheiden sich die Geister. Die Hebammen gehen von mindestens 20 Prozent weniger aus. Die größte gesetzliche Kasse in Thüringen, die AOK Plus, meint hingegen, es gebe „grundsätzlich keine Einkommenseinbußen“. Abrechnungen für den ersten Monat der neuen Regeln lagen noch nicht vor. 

Was stört die Hebammen? 

Auch für Hebammen seien eine Eins-zu-Eins-Betreuung und aufeinanderfolgende Geburten das Optimum, erklärte Grit Böhner. Aber: „Das ist nicht Geburtshilfe, die lässt sich nicht planen“. Manchmal seien keine Frauen im Kreißsaal, dann stünden mehrere Geburten gleichzeitig an. „Ich habe für jede Frau 100 Prozent Verantwortung - aber kriege nur 30 Prozent“, monierte sie. 

Dazu sei die Bürokratie grenzenlos geworden, bemängeln die Hebammen. Im neuen Hebammenvertrag wird pro fünf Minuten Leistung abgerechnet. Das führe dazu, dass bei mehr als einer Frau in der Betreuung andauernd notiert werden müsse, wo man gerade sei und welche Leistung man erbringe. „Und wehe man verschreibt sich, dann wird die Leistung gestrichen“, so Böhner. „Wir sollen Frauen betreuen und können nicht nur Bürokratie machen.“

Ist jetzt die Geburtshilfe in Thüringen in Gefahr? 

Das Belegsystem ist in Thüringen nicht besonders verbreitet, in den meisten Kliniken führen angestellte Hebammen Geburten durch. Sie sind von den neuen Regeln nicht betroffen. Und dort, wo es erste Kündigungen in den Belegteams gibt, dürften sich die Auswirkungen auf die Gebärenden noch in Grenzen halten. Auch, weil die Hebammen alles versuchen, um das Problem nicht auf dem Rücken der Frauen auszutragen, wie Kathrin Ritter erklärte. 

Das Thüringer Gesundheitsministerium kann bisher nicht abschätzen, wie sich die neuen Regeln auf die Geburtshilfe im Allgemeinen auswirken. Das hänge auch von den lokalen Verhältnissen ab. Auch Diana Schmidt vom Thüringer Hebammenverband meinte, die Auswirkungen seien bisher nicht abzuschätzen. Die flächendeckende geburtshilfliche Versorgung in Thüringen sei aber in Gefahr. 

Ein Hoffnungsschimmer der Hebammen zerschlug sich zunächst: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies einen Eilantrag des Deutschen Hebammenverbands gegen die neuen Modalitäten vergangene Woche ab. Festgelegt ist aber in dem Schiedsspruch auch, dass sich eine Arbeitsgruppe aus Kassen und Hebammen noch einmal über die Vergütungsregeln beugt, sobald repräsentative Abrechnungsdaten vorliegen. „Darauf liegt meine Hoffnung, dass da dann nachgebessert wird“, sagte Böhner.