Erfurt Erfurt: Suche nach Motiv für das Schulmassaker

Erfurt/dpa. - Über das Schul-Massaker von Erfurt sind am Samstagneue, erschütternde Details bekannt geworden. Der 19-jährige Ex-Schüler tötete viele seiner Opfer mit Kopfschüssen. Einen Tag nachdem Amoklauf mit 17 Toten kam Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD)selbst nach Erfurt, besuchte den Ort des Blutbades, das Gutenberg-Gymnasium, und nahm am Abend an einem Trauergottesdienst im Dom teil.Begleitet von einer intensiven Suche nach dem Motiv für den Amoklaufhat zudem eine breite Diskussion über die Folgen des in Deutschlandbeispiellosen Verbrechens begonnen.
Schröder trug das Gesteck mit weißen und gelben Blumen zum Eingangder Schule. Seine Frau Doris Schröder-Köpf hatte Tränen in den Augen.Eine Minute verharrte das Paar in Schweigen vor dem Portal, das nachdem Geschehen vom Freitag mit Blumen und Kerzen übersät war.
Bischof Joachim Wanke sprach bei dem ökumenischen Gottesdienst imErfurter Dom von Entsetzen, Ratlosigkeit und Trauer. «Entsetzendarüber, dass ein junger Mensch zu einem solchen Verbrechen fähigist; Ratlosigkeit darüber, wie diese Tat erklärt werden kann undTrauer über die Toten und Mitgefühl für die betroffenen Familien.»«Der Mensch ist mehr als das Produkt gesellschaftlicherVerhältnisse.»
Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel sagte am Mittag, der19-jährige Täter sei ein ausgebildeter Schütze gewesen. «Er töteteviele seiner Opfer durch Kopfschüsse.» Ein Komplize galt alsunwahrscheinlich, wurde aber weiter nicht ausgeschlossen. Die Polizeikorrigierte die Zahl der Toten auf 17. Die zehn Verletzten waren amSamstag außer Lebensgefahr. Der Opfer soll erneut am 3. Mai imBeisein von Bundespräsident Johannes Rau in einer zentralenTrauerfeier in Erfurt gedacht werden.
Der Täter war Mitglied im Polizeisportverein und einem ErfurterSchützenverein. Er besaß seine Waffen legal. Nach bisherigenErmittlungen sind aus der gefundenen Pumpgun keine Schüsse abgegebenworden, aus der Pistole dagegen über 40 Schüsse. In der Toilette derSchule und der Wohnung des Täters wurden weitere erhebliche MengenMunition sichergestellt, insgesamt 1200 Schuss. Die Ermittlungenwerden voraussichtlich bis Montag dauern.
Ein Polizeisprecher bestätigte, dass ein mutiger Lehrer am Freitagden Amoklauf beendet hatte. Der Mann habe den Täter während desKugelhagels angesprochen und in dem Zimmer einschließen können, indem der Jugendliche sich später erschoss. Außer dem Täter, einemPolizisten und zwei Schülern starben 13 Lehrer, ein Viertel desKollegiums. Bei den zwei toten Schülern handelt es sich um ein 14-jähriges Mädchen und einen 15-jährigen Jungen.
Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin forderte eineAufarbeitung der gesellschaftlichen Ursachen. Man müsse sich fragen,wie ein Mensch so verzweifelt und isoliert sein könne, sagte sie inKarlsruhe. Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber forderte in Münchendie Medien zu mehr Zurückhaltung bei der Darstellung von Gewalt auf.Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rief für kommenden Montagdie rund 40 000 Schulen in Deutschland zu einem «Tag der Besinnung»auf. Der Deutsche Schützenbund sagte das Bundeskönigs-Schießen des51. Deutschen Schützentages in Suhl ab.
Der 19-Jährige wurde vor einigen Monaten vermutlich wegenUrkundenfälschung der Schule verwiesen, darunter waren gefälschteAtteste. Mitschüler und Bekannte beschrieben den Täter als ruhig,intelligent, kontaktfreudig und beliebt. Er habe aber großeSchwierigkeiten mit den Zwängen des Schulalltags gehabt und fiel voreinem Jahr durch die Abitur-Prüfung.
Im Lauf der Nacht zu Samstag wurden alle Leichen aus demSchulgebäude in die Gerichtsmedizin gebracht. Auch amSamstagvormittag hielten immer wieder Autofahrer, um Blumenniederzulegen. Hunderte trugen sich in das Kondolenzbuch der Stadtein. Wie schon am Abend zuvor bildeten sich lange Schlangen vor demRathaus.
