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Leben in der DDR DDR: Ost-Frauen - was steckt hinter dem Mythos?

Von Sabine Rennefanz 23.01.2017, 13:07
Mutter mit Kindern unterwegs in Ost-Berlin, 1964.
Mutter mit Kindern unterwegs in Ost-Berlin, 1964. Imago

Es gibt Frauen mit Kindern und Frauen ohne Kinder, und ihre Welten sind mit einer gläsernen Wand voneinander getrennt. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens auf der anderen Seite der Wand verbracht, auf der ohne Kinder. Was mich aber nicht daran hinderte, genau zu wissen, was Mütter alles falsch machen. Mütter sind ein einfaches Thema – jeder hat eine Mutter oder hat eine gehabt, jeder hat eine Meinung.

Ich dachte zum Beispiel, wenn ich mal ein Kind hätte, würde ich es locker mit sechs Monaten in die Krippe geben. Befreundete Mütter, die nach der Kita-Eingewöhnung klagten, wie sehr ihnen ihr Kind fehlte, verstand ich nicht.

Irgendwann war ich selbst schwanger, und mein Mann und ich machten Pläne. Als mein Sohn dann geboren wurde, wurde ich von  Gefühlen überwältigt,  von denen ich nicht wusste, dass sie existierten. Ich wollte nun doch lieber so viel Zeit wie möglich mit dem Baby verbringen, mindestens ein Jahr. Mein Mann und ich wollten uns die Erziehung aufteilen; ich sollte etwas mehr arbeiten, er etwas weniger.

Ich meldete das Kind in der Kita an. Die erste Zeit war nicht einfach. Mein Sohn, etwa ein Jahr alt,  weinte morgens, wenn ich ihn der Erzieherin überreichte. Ich ging mit hängendem Kopf ins Büro. Ich guckte alle zwei Sekunden auf mein Telefon, um zu sehen, ob die Erzieherin anrief; ich sorgte mich. Als mein Sohn sich in der Kita ständig ansteckte und krank wurde, dachte ich, dass es vielleicht doch zu früh gewesen war, ihn  wegzugeben.

Emanzipiert und selbstbewusst

Ich hatte dauernd ein schlechtes Gewissen, mal, weil ich das Kind zu sehr vermisste, mal, weil ich das Kind zu wenig vermisste. Je wohler ich mich im Büro fühlte, desto schlechter kam ich mir als Mutter vor. Warum fiel es mir so schwer, beides zu verbinden, das Arbeiten und das Muttersein?

Ich komme doch aus dem Osten, bin aufgewachsen in einem Land, in dem es selbstverständlich war, dass Frauen auch mit kleinen Kindern viel arbeiteten. Ost-Frauen gelten als emanzipiert, als vorbildlich gleichberechtigt. 1989 arbeiteten 92 Prozent der Frauen in der DDR, im Westen waren es nur etwa 50 Prozent.

Und je mehr Zeit seit der Wende vergeht, desto emanzipierter und selbstbewusster werden die Ost-Frauen im öffentlichen Bild. Wenn heute Frauen aus der DDR gezeigt werden, in Zeitungen oder im Fernsehen, sehen sie oft aus wie aus der Sibylle, der Modezeitschrift.

So cool und lässig. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Frauen meiner Kindheit so aussahen, aber was heißt das schon. Über vieles aus dem Osten wird heute gewitzelt, aber die DDR-Frau ist eine Ikone. Wie Ampelmann und Rotkäppchen.

Dann fiel mir neues Buch von Anna Kaminsky auf, es trägt den nüchternen Titel „Frauen in der DDR“. Anna Kaminsky hat nachgeforscht: Wie haben die Frauen das mit dem Beruf und der Familie hingekriegt? Waren sie wirklich die Königinnen der Emanzipation?

Ich suche die Autorin auf, um ihr meine Fragen zu stellen. Anna Kaminsky leitet die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und darf deshalb schon von Berufs wegen keinen verklärten Blick auf das untergegangene Land pflegen. Eine kritische Grundhaltung zieht sich durch das Buch, es liest sich, als habe sich die Autorin vorgenommen, gegen das Bild der Superfrau anzugehen.

Anna Kaminsky beschreibt, wie sehr sich die Frauen zwischen ihren Rollen als Partnerin, Mutter und Berufstätige aufrieben. „Die moderne Frau in der DDR sollte nicht nur voll berufstätig sein, sie sollte sich auch ständig weiterbilden und in gesellschaftlichen Organisationen tätig sein. Sie sollte den Haushalt meistern, eine gute Köchin sein. Ihren Kindern sollte sie eine liebevolle Mutter und ihrem Mann eine beruflich gleichberechtigte, aber dennoch fürsorgliche Ehefrau sein“, heißt es in dem Buch.

Unkritisch und undifferenziert

Anna Kaminsky steht in ihrer Bürolandschaft, rotbraune Auslegeware, helle Möbel, ein großer Schreibtisch, ein runder Besprechungstisch, große Fenster. Auf der einen Seite füllen Leitz-Ordner ein Regal bis unter die Decke, und auf der anderen Seite steht eine Wand voller Bücher über die Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts, Stalin, Hitler, Gulag, Holocaust. Auf einem Sideboard liegt ein gerahmter Spruch, Gold auf Hellblau, der zwischen dem Grauen für ein wenig Leichtigkeit sorgt: „Ich schmeiß alles hin – und werde Prinzessin.“

Anna Kaminsky ist eine kleine, mädchenhaft wirkende Frau – blonde, in der Mitte gescheitelte Haare, Rock, Halstuch, Lippenstift. Sie wurde in den Sechzigerjahren in Gera geboren, ihr konkretes Alter nennt sie Journalisten nicht. Sie nimmt jede Bewertung  dieser Angewohnheit  sofort vorweg, indem sie sich über ihre eigene Albernheit lustig macht. Sie lächelt und bietet  mir einen Platz am Besprechungstisch an.

Anna Kaminsky sagt, es habe sie geärgert, wie unkritisch und undifferenziert heute über Frauen in der DDR gesprochen werde, mal seien sie die Superfrauen, die dank der Fürsorge des Staates scheinbar spielend Haushalt, Berufstätigkeit und Kinder miteinander verbanden, mal als verhuschte, hinterwäldlerische Schattenwesen.

Sie hat zahlreiche Originaldokumente aus vier Jahrzehnten gesichtet, Beschlüsse, Verordnungen und Gesetze, hat Propaganda-Material durchforscht, Kaufhaus-Kataloge und Frauenzeitschriften gelesen, Filme und Literatur untersucht.

Sie hat Eingaben und Briefe von Frauen ausgewertet, die sich bei den Ausschüssen und beim Rat des Kreises beschwerten. Zum Beispiel darüber, dass es entgegen der Versprechen oft keine Kindergartenplätze in Wohnortnähe gab und die Frauen vor Schichtbeginn frühmorgens schon durch die Stadt hetzen mussten, um die Kinder in weit entfernten Einrichtungen abzugeben. Am Ende der Recherche, sagt Anna Kaminsky, habe eine Entmystifizierung gestanden, „auch für mich selbst“.

Frauen sollten fehlende Arbeitskräfte ersetzen

Ich lese in dem Buch, dass die DDR-Frauen mindestens so zerrissen waren wie die berufstätigen Mütter heute, wahrscheinlich sogar noch mehr, weil der Alltag beschwerlicher war, die weiten Wege, die Schwierigkeiten beim Einkaufen. Schon die kleinsten Kinder hatten oft einen sehr langen Tag, wurden vor sieben Uhr morgens in der Kita abgegeben und erst am späten Nachmittag abgeholt.

Vieles davon ist bekannt. Besonders interessant sind daher die Abschnitte über die frühen Jahre der DDR, in denen genau beschrieben wird, wie unterschiedlich im Osten und Westen die so genannte Frauenfrage behandelt wurde.

Im Westen galt die Versorgerehe als das vorherrschende Modell, im Osten sollten die Frauen die fehlenden Arbeitskräfte ersetzen. Schon in der sowjetischen Besatzungszone gab es ein Förderprogramm, das den weiblichen Bevölkerungsteil in die Fabriken holen sollte.

Später, in der DDR, wurde in Zeitschriften für das Arbeitsleben geworben,  erfüllend sei es und anregend. Es gab Hausfrauen- und Oma-Brigaden, die in Stoßzeiten bei der Produktion helfen sollten, eine Maßnahme, um den Frauen zu zeigen, wie toll es ist, eigenes Geld zu verdienen.

Es gab nicht  nur männliche Vorzeige-Arbeiter wie Adolf Hennecke, sondern auch  Vorzeige-Arbeiterinnen wie Frida Hockauf, eine Weberin. Auch wenn ihr Name nicht so geläufig ist, kennt wohl jeder, der im Osten groß wurde, ihren Spruch: „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“

Jedes zweite Kind geht in die Krippe

Viele Ost-West-Unterschiede bestehen bis heute fort. Frauen im Osten bekommen früher Kinder und kehren schneller wieder an den Arbeitsplatz zurück. Während vierzig Prozent der Mütter unter vierzig Jahren laut Bundesfamilienministerium im Osten Vollzeit arbeiten, sind es im Westen nur 17 Prozent. Jedes zweite Kind unter drei Jahren im Osten geht in eine Krippe, im Westen sind es weniger als ein Drittel.

Auch wenn Anna Kaminsky versucht, das DDR-System zu entzaubern, klingt vieles von damals, aus heutiger Sicht betrachtet, vergleichsweise fortschrittlich. So wurde 1960 eine Frauenkommission beim ZK der SED eingerichtet, die sich mit der Vereinbarkeit befassen und die Einrichtung von Kindertagesstätten generalstabsmäßig planen sollte.

1960! In der Bundesrepublik leitete damals ein Mann namens Franz-Josef Wuermeling das Ministerium für Familienfragen, der Sätze sagte wie: „Das Mutterwirken ist durch nichts zu ersetzen.“ Bis in die Siebzigerjahre brauchten westdeutsche Frauen eine Genehmigung ihres Mannes, um eine Stelle annehmen zu dürfen.

Teilzeit war nicht erwünscht

In der Sowjetischen Besatzungszone wurde den Arbeiterinnen bereits im Jahr 1947 „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ versprochen. Darum kämpft Manuela Schwesig, die Familienministerin heute, wieder beziehungsweise immer noch. 

Anna Kaminsky sagt, dass dieses Lohn-Versprechen theoretisch zwar stimmte, dass aber Berufe, in denen mehrheitlich Frauen arbeiteten, in der Regel weit schlechter bezahlt waren als sogenannte Männerberufe. „DDR-Frauen verdienten im Schnitt ein Drittel weniger als Männer, was sich bis heute bei der Rente auswirkt“, sagt sie.

Einer ihrer großen Kritikpunkte ist, dass Frauen in der DDR keine Wahl hatten, ob sie nach der Geburt ihrer Kinder eine Zeit lang aussteigen oder weiterarbeiten. Vollbeschäftigung war das Ziel, Teilzeit nicht erwünscht.

Die eigenen Interessen zurückgestellt

Bis in die Siebzigerjahre hinein mussten Frauen kurz nach der Geburt wieder arbeiten gehen, etwas wie bezahlten Erziehungsurlaub gab es erst ab 1976. Sich ganz zu entziehen, wenn man Vollzeitmutter sein wollte, war möglich, aber schwierig. Kaminsky zitiert Propaganda-Material, in denen Hausfrauen als Schmarotzer beschimpft wurden.

Während ich Anna Kaminsky zuhöre, denke ich an meine Mutter. Meine Mutter arbeitete halbtags, als ich klein war. Bevor meine Geschwister auf die Welt kamen, hörte sie ganz auf und wurde Hausfrau. Sie schickte mich nicht in den Kindergarten, weil sie dem Erziehungssystem misstraute. Eine gute Mutter war für sie eine Frau, die sich in den ersten Jahren ganz ihrem Kind widmete, eigene Interessen zurückstellte. Sie war die einzige Hausfrau, die ich kannte.

Irgendwie klang das Wort „Hausfrau“ schon falsch, dekadent und asozial. Die Mütter von Schulfreunden hatten alle Berufe, die der Gesellschaft nützten: Sie waren Melkerin, Verkäuferin, Sekretärin, Traktoristin, Lehrerin. Es war mir peinlich, wenn wir im Russischaufsatz über die Berufe der Eltern schreiben sollten. Das Einzige, was ich schreiben konnte, war: Mama domoi. Mama ist zu Hause.

Ich hätte als Kind lieber eine Mutter gehabt, die morgens früh zur Arbeit geht. Solange ich denken kann, war meine Mutter finanziell abhängig von meinem Vater. Bei mir hat das dazu geführt, dass ich später alles anders machen wollte.

„Multitasking haben Frauen in der DDR perfektioniert“ 

Ich wollte einen Beruf, ein eigenes Einkommen, Unabhängigkeit. Ich wollte auf gar keinen Fall auf Kosten eines Mannes leben. Ich bewunderte meine Tante, die ihre Arbeit als stellvertretende Leiterin eines Elektroladens liebte, sich Kleider, Schallplatten und Bücher leisten konnte.

Mag sein, dass die Funktionäre in der Staatsführung keine Feministen waren. Aber war es nicht progressiv, dass Frauen ihr eigenes Geld verdienten, gab ihnen das nicht Selbstbewusstsein?

Ja, sagt Anna Kaminsky, und dreht die Antwort geschickt gleich wieder auf ihr Thema, die doppelte Belastung. „Frauen haben aus der Berufstätigkeit ein großes Selbstbewusstsein gezogen, weil sie gesehen haben, sie schaffen nicht nur genauso viel wie die Männer, sondern auch mehr. Multitasking haben Frauen in der DDR perfektioniert.“ Sie kritisiert, dass der Haushalt überwiegend an den Frauen hängenblieb. Aber ist das nicht heute auch so?

Propaganda für den Gatten

Kaminsky stört eher, dass der Staat zumindest in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die altmodischen Rollenmodelle auch noch verfestigte, durch Propaganda, die sich an die Ehegatten richtete, die von der Frauenarbeit überzeugt werden mussten. Ihnen sei versprochen worden, dass die Berufstätigkeit ihrer Frauen ohne Einbußen an häuslicher Bequemlichkeit vonstattengehen wird, sagt Anna Kaminsky.

So habe man vorgerechnet , wie viel Zeit die Frau bei der Hausarbeit sparen würde, wenn sie die ganzen Helfer benutzen würde, die dem sozialistischen Haushalt zur Verfügung stehen, den Schnellkochtopf, die Waschmaschine. Damit die Gattin die neu gewonnene Freizeit nicht vertrödele, solle sie lieber arbeiten gehen.

Warum jede Generation sich die Gleichberechtigung neu erkämpfen muss 

Obwohl Frauen in der DDR in Männerberufen arbeiteten, Klempnerin waren, Traktorfahrerin, schafften  es nur wenige in Leitungspositionen in Politik und Wirtschaft. In der DDR gab es in den vierzig Jahren nur zwei weibliche Ministerinnen, Hilde Benjamin und Margot Honecker.

Vielleicht wollten die Frauen ja auch nicht mehr? Anna Kaminsky überlegt, ja, das könne natürlich sein. Führungspositionen seien mit Parteimitgliedschaft und zusätzlichem gesellschaftlichem Engagement verbunden gewesen. „Vielleicht hatten viele Frauen gar keine Lust, auch noch in Parteiversammlung zu rennen, statt mit den Kinder die ohnehin knappe Zeit zu verbringen“, sagt sie.

Unter Druck, das Leben zu optimieren

Multitasking, Doppelbelastung, das ständige Gefühl, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden, das alles kommt mir seltsam vertraut vor. Die DDR-Frau, die Anna Kaminsky beschreibt, wirkt nicht wie eine historische Figur, sondern wie eine gute Bekannte. Als arbeitende Mutter steht sie dauernd unter Druck, ihr Leben zu optimieren, wie man heute sagen würde, perfekter Job, perfekter Haushalt, wohlerzogene Kinder.

Die Autorin kennt sich aus mit Elterngeld, Vätermonaten, den Ausbauplänen von Ganztagseinrichtungen. Sie sagt, dass sich in der Öffentlichkeit etwas gedreht habe. Nach der Wende waren Ost-Frauen, die ihre Kinder früh in die Krippe brachten, mit Vorwürfen konfrontiert, sie würden sich nicht genug kümmern. Rabenmütter hieß das damals.

So schnell wie möglich wieder arbeiten

Inzwischen, hat sie beobachtet, geht es in die umgekehrte Richtung. Es sei normal geworden, nach dem Kinderkriegen so schnell wie möglich wieder arbeiten zu gehen. Es werde gesagt, liebe Frauen, ihr schafft das schon mit der Karriere und den Kindern, zumal Papa doch auch zwei Vätermonate nimmt, und wenn nicht, dann ist es euer Problem.

Als wäre die Vereinbarkeit von Familie und Karriere nur eine Frage der guten Organisation. „Am Ende liegen die Frauen doch wieder abends müde und erschöpft auf dem Sofa und geben sich selbst die Schuld, dass sie nicht auch noch ein schönes Hobby haben“, sagt Anna Kaminsky.

Sie ärgert sich, wenn Frauen, die sich entscheiden, ihre Kinder länger  zu Hause zu betreuen, als rückständig und unemanzipiert dargestellt und das Betreuungsgeld als „Herdprämie“ verspottet wird. Sie kritisiert, dass Frauen unter Druck gesetzt werden, einem bestimmten Lebensmodell zu folgen.

Mir fiel dazu ein, dass ich kürzlich auf Twitter las, wie sich die bekannte Berliner Feministin Teresa Bücker darüber freute, dass eine Kollegin zur Weihnachtsfeier gekommen war, direkt aus dem Wochenbett, drei Wochen nach ihrer Entbindung, und das winzige Baby hatte sie auch gleich mitgebracht. „Weil Vereinbarkeit geht, wenn man sie schaffen will“, schrieb die junge Feministin dazu.

Viele Frauen scheinen sich inzwischen dem Druck der ständigen Verfügbarkeit zu entziehen, indem sie lieber dem alten Rollenmodell vertrauen.  Als mein Sohn sehr klein war, ging ich öfter mit ihm in eine Krabbelgruppe, um andere Mütter zu treffen (Väter sah ich übrigens nie). Frauen, die sich gleichberechtigt mit ihrem Partner das Geldverdienen und Kindererziehung teilen wollten, lernte ich dabei sehr selten kennen. 

Ich traf viele, die nach zehn oder zwölf Monaten in ihren Beruf zurückkehren wollten, aber nur halbtags, weniger als zwanzig Stunden. Und ich traf überraschend viele  Akademikerinnen, die mindestens zwei, drei Jahre aussteigen wollten, während der Partner mit voller Stundenzahl weiterarbeitet und das Geld nach Hause bringt. Interessant dabei: Die Vollzeitmütter wirkten am wenigsten gestresst.

Schon Jahre, bevor sie schwanger wurde, erzählt Anna Kaminsky, habe sie angefangen, Geld anzusparen und zurückzulegen, um später mit ihrem Kind länger zu Hause bleiben zu können. Nachdem ihr Sohn 1987 geboren war, blieb sie vier Jahre deheim. „Ich wollte nicht, dass mein Kind dem System in die Hände fällt“, sagt sie.

Erleichterungen selbst erkämpft

Es war für Anna Kaminsky eine einsame Zeit, Bekannte verspotteten sie als piefig und rückständig. Zum Ausgleich begann sie  irgendwann damit, ihre Doktorarbeit zu schreiben. Wenn das Kind schlief, setzte sie sich an den Schreibtisch. Sie wollte eben auch nicht nur Möhrenbrei kochen.  Nach der Wende fand sie den Anschluss wieder, sie arbeitete für verschiedene historische Forschungsprojekte, 1998 fing sie bei der Stiftung Aufarbeitung an.

Es mag sein, dass der Staat an einer echten Emanzipation der Frauen anfangs nicht interessiert war. Und doch änderte sich etwas – allein dadurch, weil in den Betrieben so viele Frauen präsent waren. Die Frauen in der DDR haben sich ihre Erleichterungen erkämpft, in kleinen Schritten, ohne großen theoretischen Überbau und ganz anders als die Frauen im Westen. Mit deren Sorgen – dem Binnen-I zum Beispiel, der Quote – können viele Ost-Frauen bis heute wenig anfangen. „Unser Feind war der Staat, nicht die Männer“, sagt Anna Kaminsky.

Mit der Zeit wurden sie selbstbewusster, die Frauen in der DDR, stellten Forderungen nach mehr Entlastung. Selbst Staatschef Erich Honecker zeigte 1971 ein gewisses Problembewusstsein: „Ohne die wachsende Mitarbeit der Männer in der Familie etwa gering schätzen zu wollen – die Hauptlast liegt immer noch bei der Frau.“

Fast jede dritte Ehe wurde geschieden

Im Jahr 1976 wurde ein bezahltes Babyjahr für die Frauen eingeführt. Und die  Werbung für Haushaltsgeräte änderte sich. „Von jetzt an wasche ich die Wäsche“, sagt ein lächelnder Mann an der Waschmaschine im Katalog des Centrum-Warenhauses 1971. Männer in Schürze in der Werbung zu sehen, Männer am Bügelbrett gezeigt.

Gebracht hat das laut Anna Kaminsky allerdings wenig. Ab den Siebzigerjahren ging die Scheidungsquote in der DDR rasant nach oben, zu 65 Prozent wurde die Trennung von den Frauen gewünscht, oft mit der Begründung, dass der Mann nicht genug im Haushalt mithelfe. Fast jede dritte Ehe wurde geschieden. Die Zahl der Abtreibungen schnellte in den Siebzigern in die Höhe, auf mehr als 100.000 pro Jahr. Die Frauen verweigerten sich.

Doch auch hier ergibt sich die Bewertung aus  der jeweiligen persönlichen Perspektive: Für eher konservative Menschen wie Anna Kaminsky mag eine geschiedene Ehe ein Beleg des Scheiterns sein, für andere womöglich ein Zeichen für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung und die Kraft, nicht in einer unglücklichen Beziehung zu verharren.

Der Ost-Mann wirkt generell etwas selbstständiger

Ich höre Anna Kaminsky zu und begreife, dass Gleichberechtigung sich nicht automatisch einstellt, man muss sie erzwingen. Jede Generation neu für sich. Die Mütter in der DDR haben immerhin etwas Vorarbeit geleistet, was die Offenheit angeht, alte Rollenmodelle hinter sich zu lassen.

Die Berufstätigkeit der Frauen hat auch die Männer verändert. Wer damit aufgewachsen ist, dass Mutti morgens zur Arbeit geht, wer vielleicht selbst im Haushalt mithelfen musste, wird offenbar auch später eher zum Feministen.

Junge ostdeutsche Männer beziehen heute als Väter im Schnitt länger Elterngeld als die üblichen zwei Vätermonate und bringen sich mehr im Haushalt ein. Der Ost-Mann wirkt generell etwas selbstständiger: Während sich im Westen jeder zweite Mann von seiner Frau die Kleidung kaufen lässt, besorgt sich der Ost-Mann seine Socken lieber selbst.