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DDR-Mode DDR-Mode: Protest mit Nadeln

Von ELKE RICHTER 01.10.2010, 11:55

Halle (Saale)/MZ. - Doch stand es wirklich so schlimm mit der Mode in der Ost-Republik? 20 Jahre nach der deutschen Einheit versuchen etliche Bücher das Vorurteil vom grauen Osten zu entkräften. Denn grau oder schwarz war die Mode hierzulande nun wirklich nicht. Das lag schon daran, dass beide Farben der sozialistischen Bekleidungsindustrie, die mit frischen Colors Frohsinn verbreiten wollten, suspekt waren. Ost-Kleidung lässt sich auch nicht reduzieren auf geblümte Dederon-Kittelschürzen und sandfarbene "Präsent 20"-Hosen. Obwohl beides wohl zur textilen Grundausstattung vieler DDR-Bürger gehörte.

Unstrittig aber ist, dass es ziemlich schwierig war, sich in den HO- und Konsumgeschäften oder über den Versandhandel modisch einzukleiden. Trendige Klamotten, vor allem in so großer Vielfalt wie im Westen, waren im volkseigenen Handel Mangelwaren. Das 1952 gegründete ostdeutsche Bekleidungsinstitut und später das Modeinstitut der DDR schielten zwar ständig auf die Laufstege in Paris, London oder Mailand, aber was dann letztendlich in den Geschäften landete, hinkte den Trends hinterher.

An mangelnder Kreativität lag das nicht. Ursachen waren vielmehr die langen Instanzenwege, die die Modevorschläge durchlaufen mussten und insbesondere die ökonomischen Zwänge der textilen Massenfertigung nach Plan. An allem wurde gespart, an Knöpfen, Steppungen, Zierrat. Heraus kam eine auf ein Minimum abgespeckte Bekleidung, die oft nicht dem Modegeschmack entsprach. Tonnenweise unmoderne Konfektion in den Geschäften waren untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Modeindustrie nicht zentral steuern ließ. Mode nach Plan konnte einfach nicht auf Kundenwünsche eingehen. Sie erzog vielmehr zum Verzicht. Doch verzichten wollten die Wenigsten. Deshalb entwickelte sich im Gegenzug die Ost-Republik zu einem Volk von Designern, die mit kleinen Nadelstichen gegen das Modeallerlei im HO opponierte.

Frischen Wind ins Warenangebot brachten die Jugendmode- und "Exquisit"-Geschäfte. Letztere wurden im Jahr 1970 eröffnet, um die überschüssige Kaufkraft der Bevölkerung mit hochwertiger, trendiger Kleidung im oberen Preissegment abzuschöpfen. Was trefflich gelang. Die rund 400 exquisiten Einrichtungen machten rund drei Milliarden Mark Umsatz. Obwohl die Preise für die teilweise aus Importen stammenden Waren recht heftig waren, hielt aber auch hier das Angebot mit der Nachfrage nicht mehr Schritt und die Kollektionen verloren zunehmend an Exklusivität. Ähnlich verhielt es sich mit der vielversprechenden HO-Handelskette "Jugendmode", kurz "JuMo"genannt. Sie begann im Frühjahr 1968 in acht Bezirkshauptstädten der Ost-Republik sowie in Berlin mit dem Verkauf eines speziell auf junge Leute zugeschnittenen Bekleidungsprogramms.

Das Sortiment, das sich stark an westlichen Trends orientierte und auf schmale Geldbeutel zugeschnitten war, umfasste sowohl Freizeit- als auch Festbekleidung. Dazu passend gab es Schmuck, Mützen, Schuhe und Kosmetik. Doch das Bedürfnis nach jugendlicher Kleidung war offensichtlich größer, als mancher Funktionär prognostiziert hatte. Shirts, Hosen und Schuhe waren im Nu ausverkauft. Nachschub rückte spärlich nach. Da konnte auch der Gag mit den schreiend bunten Papierkleidchen, die nur ganz kurz den Markt bereicherten, nicht versöhnlich stimmen. Die Jugendlichen reagierten sauer und suchten auf anderen Wegen, an modische Fummel ranzukommen. Und sie taten das, was viele andere auch taten: Sie entwickelten Eigeninitiative.

Wer flott und modisch gekleidet durch den DDR-Alltag schlendern wollte, keine Westpakete bekam und auch niemanden hatte, der halbwegs eine gerade Naht hinbekam, der setzte sich an die Nähmaschine oder klapperte emsig mit den Stricknadeln, um seine Unikate oft nach westlichem Vorbild selbst zu kreieren. Zeitschriften wie "Sibylle", "Saison", "Pramo" und "Modische Maschen" aus dem Leipziger Verlag für die Frau waren begehrte Ideenspender. Sie lieferten im Heft auch gleich noch Schnittmusterbogen und Arbeitsanleitungen. So wurde in ostdeutschen Stuben emsig geschneidert, gestrickt, gestickt, gebatikt und gefärbt. Es entstand eine detailverliebte flotte Kleidung als Alternative zum trögen Warenangebot von Konsum und Co. Immerhin ein Fünftel des Bekleidungsbedarfs schneiderten sich die Frauen im Osten selbst. In Erinnerung sind noch die in den 80er Jahren zu schicken Folkloreblusen umfunktionierten Bettlaken. Diese Schneiderwut führte dazu, dass es im Handel monatelang kaum Baumwolllaken zu kaufen gab. Ebenso verhielt es sich mit Molton-Windeln, die gebatikt oder gefärbt zu duftigen Sommerblusen verarbeitet wurden. Auch Omas angeraute rosafarbenen und hellblauen Unterröcke wurden mit Stoßbändern, Reißverschlüssen und Schlüsselringen zu trendigen Sweatshirts aufgepeppt. Die DDR-Mode repräsentierte das, was gerade heute durch die Do-it-yourself-Welle hoch im Kurs steht: Authentizität.

Einen eigenen Modestil gab es in der DDR allerdings nicht. Man orientierte sich an westlichen Vorbildern, verfügte aber nicht an hochwertigen Materialien. Die Alternative hieß Chemiefasern. Lederol, Dederon oder Grisuten, in der DDR und im Ostblock produzierte Kunstfasern, sollten Produkte aus dem Westen ersetzen. Und sie kamen auch gut an. Mit Wolpryla, das es unter Bezeichnungen wie "Sirius" oder "Pegasus" zu kaufen gab, wurde in den 60ern ein wahrer Strickboom in der DDR ausgelöst. Das wohl prägendste Material der DDR-Mode aber ist "Präsent 20". Aus diesem Rundstrickstoff wurden Hosen, Röcke, Anzüge gefertigt. Zwar hat der Stoff einige Nachteile, aber er ist unverwüstlich. Wohl deshalb ist "Präsent 20"-Kleidung auch heute noch in manchem Kleiderschrank Zuhause.

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