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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Wie 25 nagelneue Trabis geklaut wurden

Von KAI POSMIK 21.01.2011, 18:30

Halle (Saale)/MZ. - Lebensmittel aus dem Delikat, Klamotten aus dem Exquisit, Auslandsreisen - acht Jahre lang hat es sich Peter Bachmann (Name geändert) gut gehen lassen. Eine Viertelmillion DDR-Mark hat er durchgebracht. Das Geld auszugeben, sei kein Problem gewesen, sagt er dem Richter am Bezirksgericht in Karl-Marx-Stadt. Er habe mit seiner Familie gut gelebt.

Eine Viertelmillion, diese Summe ist 1988 für sich schon spektakulär. Noch viel spektakulärer ist, wie Bachmann an so viel Geld kam. Er hat 25 Trabis gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verkauft. Aber es sind keine normalen Autodiebstähle. Bachmann hat die Wagen mitgehen lassen, wo er seit 20 Jahren arbeitet: als Schlosser im VEB Sachsenring. Die geklauten Trabis waren Neuwagen.

Der Trabi-Diebstahl von Zwickau ruft ein Schlagwort in Erinnerung. Eines, das im Sprachgebrauch der DDR so sehr seinen Platz gefunden hatte, dass es kaum auf seine Richtigkeit hinterfragt wird. Dass aus den Volkseigenen Betrieben "noch mehr herauszuholen" sei, wird meist Erich Honecker in den Mund gelegt. Nachweisen lässt sich das nicht. Doch es klingt schön: Hier der Appell zur Steigerung der Produktivität, dort die Aufforderung zum Diebstahl im VEB.

Geklaut wird in jedem System, auch in den Betrieben. Doch entfaltete die Mangelwirtschaft in der DDR ihre ganz eigene Dynamik. Dass einige Werktätige in ihren Betrieben den Begriff des Volkseigentums auf ihre ganz eigene Weise interpretierten, war kein Geheimnis. Das Strafgesetzbuch der DDR kannte den Tatbestand des Diebstahls "sozialistischen Eigentums". Die Sanktionierung reichte vom "öffentlichen Tadel" bis zu zehn Jahren Gefängnis.

Doch Gesetze sind das eine und die Realität das andere. Für die DDR bedeutete das: Die Mangelwirtschaft zerstörte Loyalitäten, Mangel erzeugte Nachfrage und die befriedigte mancher dann mit betrieblichem Inventar.

Ein Symbol der DDR-Mangelwirtschaft war natürlich der Trabi. Stets produzierte man in Zwickau dem Bedarf hinterher. Schon Anfang der 70er Jahre belief sich der Bestellüberhang auf eine Million Fahrzeuge. "So kam es, dass für beschädigte oder sehr alte Gebrauchtwagen auf dem Schwarzmarkt zum Teil höhere Preise erzielt wurden, als ein neuer Trabi ab Werk kostete", weiß Sönke Friedreich vom Institut für Geschichte in Dresden zu berichten. Intensiv wie kein anderer hat sich Friedreich mit dem VEB Sachsenring befasst. Neben Archivrecherchen bilden Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern die Grundlage seines Buches "Autos bauen im Sozialismus".

Doch nicht nur Trabis, sondern auch Ersatzteile waren rar, der Schwarzhandel blühte. Die Beschäftigten bei Sachsenring saßen damit an einer äußerst lukrativen Quelle. Keinesfalls will Volkskundler Friedreich den Eindruck eines Generalverdachtes gegenüber den Mitarbeitern erwecken. "Der Großteil der Beschäftigten ließ sich nie etwas zuschulden kommen."

Weil Diebstähle aber erhebliche Ausmaße annahmen, rief der Betriebsdirektor 1986 eigens eine Konferenz ein. Dass selbst der Nachweis eigentlich leicht zählbarer Trabis so ungenügend war, dass Peter Bachmann 25 davon klauen konnte, daran dachte der Direktor wohl nicht einmal im Traum.

Doch schon die bauliche Situation des VEB Sachsenring half. Nachdem im Werk I die Karosserie gefertigt wurde, folgte im Werk III die Beplankung. Die fertigen Fahrzeuge wurden dann ins Werk I gefahren. Für diese Strecke wurden Nummernschilder anmontiert.

Peter Bachmann war als Schlosser damit befasst, die fertigen Trabis auf ihre Qualität zu untersuchen und gegebenenfalls vorhandene Lackschäden auszubessern. Die Gerichtsakten schildern ausführlich, wie es dem Insider gelingen konnte, fertig montierte Trabis zu stehlen. Bachmann nutzte aus, dass die fahrbereiten Trabis erst registriert wurden, wenn sie im Verladebahnhof von Werk I eintrafen.

Als Peter Bachmann 1980 den ersten Trabi klaut, arbeitet er bereits seit zwölf Jahren an seinem Arbeitsplatz. Mit der Zeit hat er so die Sicherheitslücken erkannt. Bachmann schlägt immer dann zu, wenn auf dem Hof von Werk II gerade besonders viele Trabis stehen, weil einer weniger dann kaum auffällt. In der Pause der Spätschicht, zwischen 21.30 und 21.45 Uhr, wählt er einen Trabi aus und klemmt ein privates Kennzeichen an das Fahrzeug. Obwohl der Werksschutz am Eingang kontrolliert, fällt Bachmann dabei nie auf. Bachmann stellt den Trabi dann in einer Seitenstraße ab. Nach Schichtende fährt er zunächst mit seinem privaten Auto nach Hause, dann holt er den gestohlenen Trabi.

So einfach wie der Diebstahl, so einfach gestaltet sich auch der Verkauf. Bachmann sucht sich seine Abnehmer unter Besitzern älterer Trabis. Er trennt die Fahrgestellnummer des gestohlenen Trabis heraus und ersetzt sie durch jene des bereits seit Jahren zugelassenen Fahrzeuges. Die Abnehmer fahren nun einen neuen Trabi, mit den alten Papieren.

Dass Peter Bachmann so innerhalb von acht Jahren 25 Trabis klauen und verkaufen konnte, hängt für Sönke Friedreich nicht nur, aber eben auch mit den Besonderheiten eines sozialistischen Großbetriebes zusammen. "Laxe Arbeitsmoral und Kontrollen gibt es auch in vielen kapitalistischen Betrieben, ebenso wie die Möglichkeit zum Diebstahl, schließlich gibt es das Motiv der Bereicherung in jedem System. Aber die meisten kapitalistischen Betriebe haben doch Möglichkeit und Willen, Diebstähle in Grenzen zu halten."

So wäre eine räumlich so zerstückelte Produktion im Kapitalismus kaum vorstellbar. Auch würden Inventuren und Revisionen zumeist von außerbetrieblichen Beauftragten durchgeführt. Diese hätten kaum ein Interesse daran, Fehler zu übersehen oder zu verschleiern.

Peter Bachmann wird 1988 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Außerdem muss er Schadensersatz in Höhe von genau 258 668,35 Mark leisten. Soweit noch vorhanden, werden die gestohlenen Trabis beschlagnahmt und dem VEB Sachsenring zurückgegeben.

Wie einfach es Bachmann gemacht wurde, erstaunt den Täter da immer noch. "Wenn ich das Risiko bei einem Autodiebstahl im VEB Sachsenring und bei einem Diebstahl in irgendeiner Kaufhalle vergleiche, so muss ich sagen, dass die Gefahr des Erwischtwerdens bei einem Kaufhallendiebstahl bedeutend größer ist. Ich kann ehrlich sagen, dass ich nie den Mut gefunden hätte irgendeinen Kaufhallendiebstahl auszuführen. Davor hätte ich zuviel Angst gehabt."