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Darts-WM als Spektakel Darts-WM als Spektakel: Wenn die Fans zur Feier-Meute werden

Von Antonie Städter 18.12.2016, 12:00
Ohne diese Scheibe geht nichts, bei der etwas anderen Sportart. Die größte Darts-Party des Jahres dauert zweieinhalb Wochen.
Ohne diese Scheibe geht nichts, bei der etwas anderen Sportart. Die größte Darts-Party des Jahres dauert zweieinhalb Wochen. Fotolia

Halle (Saale) - Wenn tätowierte Männer mit Bäuchen kleine Pfeile auf eine Scheibe werfen, das Bier in Strömen fließt und ziemlich schräg verkleidete Engländer ausflippen, sobald der Schiedsrichter die magische Zahl 180 („Onehundredandeeeigthyyy!“) ruft, dann ist es wieder soweit: Weltmeisterschaft im Darts. Die größte Darts-Party des Jahres dauert zweieinhalb Wochen und hat gerade begonnen.

In London, genauer im altehrwürdigen Alexandra Palace, den die Fans schlicht „Ally Pally“ nennen, treten 72 Spieler aus 22 Nationen gegeneinander an. Die meisten natürlich aus England, dem Mutterland des Dartspiels, das aber längst nicht mehr nur auf der Insel Kultstatus besitzt. Auch hierzulande wollen immer mehr Menschen das Sport-Event - wenigstens im Fernsehen - miterleben, dessen Stars Spitznamen wie „Mighty Mike“ (mächtiger Mike) oder „The Flying Scotsman“ (der fliegende Schotte) tragen und wie im Boxen mit einer eigenen Einlaufmusik auf die Bühne kommen. Beim vorigen WM-Finale verzeichnete der Sender Sport1 mit fast zwei Millionen Zuschauern in der Spitze Rekordquoten.

Alkohol und Rauchen ist auf der Darts-Bühne verboten

Wobei jetzt mancher fragen wird: Sport? Na klar ist es das. Nicht nur Kneipensport. Die Profis trainieren mehrere Stunden am Tag. Und es ist schon eine ganze Weile her, dass beim Turnier einer von der Bühne kippte, weil damals auch die Spieler das ein oder andere Pint Bier leerten. Seit Ende der 80er ist Alkohol (und auch Rauchen) auf der Bühne verboten. Die Profis trinken Wasser. Kann ja fürs Zielen nur gut sein.

Und fürs Rechnen. Denn schließlich muss man blitzschnell erfassen, welche Felder man treffen sollte. Der Schotte Gary „The Flying Scotsman“ Anderson kann ein Lied davon singen. Beim jüngsten WM-Finale irrte er sich gleich zweimal, zielte auf falsche Felder. Welch ein Ausrutscher! Andererseits aber auch nicht so schlimm: Er wurde trotzdem zum zweiten Mal in Folge Weltmeister.

Und wie war das noch einmal mit den Spielregeln? Gar nicht so kompliziert. In der WM-Spielart müssen 501 Punkte auf exakt 0 gebracht werden. Der Wert der getroffenen Felder wird abgezogen. Besonderheit: Die rote Mitte, das „Bullseye“, bringt 50 Punkte, der grüne Ring darum 25. Bei den Feldern im rot-grünen Außenring wird die angegebene Zahl doppelt gerechnet, bei jenen im Innenring dreifach. Gespielt wird Eins gegen Eins, im Wechsel werden je drei Pfeile geworfen. Die dabei höchste zu erreichende Punktzahl ist - mit dem Triple-20-Feld - 60. Wer alle drei Pfeile dort hinein trifft, hat 180 Punkte. Oder: „Onehundredandeeeigthyyy!“.

Ein Knackpunkt, an dem sich mitunter auch die Profis die Zähne ausbeißen: Der letzte erforderliche Wurf bis zur Null muss auf eines der kleinen Doppelfelder oder ins Bullseye treffen. Andererseits schaffen die Könner hin und wieder auch den „Neun-Darter“, der für Laien undenkbar ist. Das ist das perfekte Spiel mit nur neun Pfeilen - die Mindestanzahl, um 501 auf 0 zu bringen. Ein Neun-Darter bringt die Fans zum Johlen und dem Spieler eine Extra-Prämie. Drei gewonnene Spiele („Legs“) braucht es, um einen Satz zu holen. Sieben Sätze sind im WM-Finale, dieses Mal am 2. Januar, zum Sieg nötig.

„Darts ist wie vier Stunden Elfmeterschießen“

Wer das schafft, hat starke Nerven. Muss er haben. Man stelle sich das vor: Aus exakt 2,37 Metern Entfernung wird auf eine Scheibe von 45 Zentimetern Durchmesser geworfen, und zwar bestenfalls auf die Triple-20 im acht Millimeter hohen Innenring. Vor einem grölenden Publikum. Da braucht es nicht nur eine ruhige Hand, sondern auch mentale Stärke. „Darts ist wie vier Stunden Elfmeterschießen“, meinte mal ein Journalist.

Auch der Sport1-Kommentator Elmar Paulke, für den Darts „ein einzigartiger Mix aus Sport, Musik, Party, Gesängen, Verkleidung und so ein bisschen Irrenhaus“ ist, schreibt in seinem gerade erschienenen, mit Anekdoten gespickten Buch „Game on! Die verrückte Welt des Darts“: „Die Psyche ist für den Sportler im Wettkampf entscheidender als die Technik, weil sie instabiler ist.“ Das Werfen in der perfekten Flugbahn kann man üben, Gewicht und Beschaffenheit der Pfeile optimieren. Aber dem Druck, auf den Punkt genau zu treffen, muss man standhalten.

Nicht nur das macht Darts, diesen Mix aus Konzentration und Kostümfest, so faszinierend für viele. Es sind auch die Typen, die antreten. Die etwas anderen Sport-Stars. Oder, wie Paulke schreibt: „Ihr äußeres Erscheinungsbild entspricht nicht den Helden unserer Zeit. Sie sind nicht zurechtgemacht oder gestylt.“ Fast alle kämen zudem aus einfachen Verhältnissen. Nicht ohne Grund gelte Darts in England als „Golf der Arbeiterklasse“.

Da wäre etwa Phil „The Power“ Taylor, schon jetzt eine Legende. Der Engländer, der stets zum 90er-Jahre-Hit „The Power“ von Snap einmarschiert, hat bis zu seiner Profikarriere in einer Fabrik Toilettenpapier-Halterungen geschraubt. Heute ist der 56-Jährige der erfolgreichste Darts-Spieler aller Zeiten: 16 WM-Titel, Kultstatus, immer noch dabei.

„Auch wenn Taylor nicht aufhört zu betonen, er sei Multi-Millionär, seine Herkunft kann und möchte er nicht verbergen“, schreibt Paulke. Oder der ehemalige Postbote Raymond „Barney“ van Barneveld, der Darts mit seinen fünf Weltmeistertiteln auch in den Niederlanden populär gemacht hat. Die Holländer sind längst verrückt nach dem Sport. Experten sprechen vom „Barney-Effekt“.

Spektakel in London ist lukratives Geschäft

Etwas Ähnliches erhoffen sich manche vom gerade 20-jährigen Hessen Max „Maximiser“ Hopp, der inzwischen im sächsischen Vogtland lebt. Er machte zunächst eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, konzentriert sich jetzt aber voll auf den Sport, in dem er mit Weltranglisten-Platz 38 aktuell Deutschlands bester Spieler ist. 2015 wurde Max Hopp Junioren-Weltmeister, die WM jetzt ist bereits seine fünfte. Am 22. Dezember ist er an der Reihe. „70 Prozent des Spiels sind Kopfsache“, sagte er in einem Interview.

Als Top-Favorit gehandelt wird aber ein anderer: Michael van Gerwen aus den Niederlanden. „Mighty Mike“ führt die Weltrangliste an. Und könnte nach dem Spektakel in London um einiges reicher sein. Denn heute ist Darts auch ein großes Geschäft. Insgesamt 1,65 Millionen Pfund an Preisgeldern werden bei der vom Verband Professional Darts Corporation ausgetragenen WM verteilt, fast zwei Millionen Euro. „Noch sind nicht so hohe Summen im Spiel, dass eine gesamte Szene in Saus und Braus davon leben kann“, weiß Experte Paulke. Für die großen Stars des Sports ist all das aber eine echt gut bezahlte Party.

Der Sender Sport1 zeigt die WM wieder live. Termine und Sendungszeiten: www.sport1.de

Buch zum Kult: Elmar Paulke „Game on! Die verrückte Welt des Darts“, Edel, 16,95 Euro

Der 20-jährige Max Hopp  gilt als größte deutsche Darts-Hoffnung.
Der 20-jährige Max Hopp  gilt als größte deutsche Darts-Hoffnung.
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Darts-Legende Phil Taylor (l.)
Darts-Legende Phil Taylor (l.)
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Weltranglisten-Erster  Michael van Gerwen (r.) Fo
Weltranglisten-Erster  Michael van Gerwen (r.) Fo
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