Darknet Darknet: Welche Mythen stimmen - und welche nicht

Halle (Saale) - Die Fahnder schlugen am Hauptbahnhof zu. Marburg am Dienstag, 14.30 Uhr: Ein 31-jähriger Mann trifft sich mit Interessenten für den Kauf einer Maschinenpistole, einer Pistole und Munition zum Preis von 8.000 Euro. Was er nicht weiß: Die Käufer sind Zoll-Spezialkräfte. Sie kaufen nicht, sondern nehmen den Verkäufer fest - er soll der Dealer sein, der dem Amokläufer von Müncheneine Waffe besorgt hat.
Ein Zufallstreffer, denn der Mann hatte seine heiße Ware im Darknet angeboten, einem mythenumwobenen Bereich des Internets, an den es normale Nutzer nie verschlägt. Um hierher zu kommen, wo Seiten Namen wie alphabaywyjrktqn.onion oder outlaw2kyxddkuqc.onion tragen, keine zentralen Server existieren und die Suchmaschine nicht Google, sondern „Grams“ heißt, braucht es einen Browser, der einen Tunnel auf die dunkle Seite öffnet. Der heißt Tor und wurde von der US-Marine entwickelt, ehe digitale Bürgerrechtler die Technologie entdeckten und auf ihrer Basis ein Netzwerk neben dem Netzwerk des World Wide Web aufbauten.
Der große Unterschied: In diesem Schattenreich, nach Berechnungen der University of California 400 Mal größer als das WWW, sind alle Nutzer grau. Jeder Seitenaufruf ist verschlüsselt, jeder Surfer bewegt sich über eine Kette von Knotenpunkten, die angeordnet sind wie die Schutzhäute einer Zwiebel, so dass er nicht zu identifizieren ist.
Darknet hat auch Vorteile
Ein großer Vorteil für Nutzer, die in Staaten sitzen, in denen freie Meinungsäußerung und Informationsbeschaffung zur Überwachung durch Geheimdienste oder sogar zu Verurteilungen führt. Wer in einem Darknet-Forum diskutiert oder etwa die Facebook-Darknet-Adresse facebookcorewwwi.onion aufruft, ist tatsächlich anonym. Behörden können nicht herausbekommen, wer er ist. Selbst die Betreiber einer Plattform haben kaum eine Chance zu ermitteln, wo er sich aufhält.
Das liegt an der dezentralen Struktur des Verkehrs hier, der keine direkten Wege kennt: Ein Nutzer aus Köthen, der eine Seite besuchen will, die ein Anbieter aus Berlin betreibt, wird vielleicht zuerst auf einen Knoten in Frankreich, dann auf einen in Chile, von dort weiter nach Island und dann erst nach Berlin geleitet. Das geht langsamer als im gewöhnlichen Internet. Aber heute schon viel schneller als noch vor zwei Jahren. Und es ist so sicher, dass selbst Geheimdienste wie die amerikanische NSA sich an den verschlüsselten Verbindungen die Zähne ausbeißen.
Ein Vorzug des Darknet, den sich neben Bürgerrechtlern auch Kriminelle zunutze machen. Kinderpornoringe tauschen hier in noch einmal extra gesicherten geschlossenen Foren Bilder und Videos. Auf Marktplätzen wie Dream Market, Darkmarket oder Valhalla werden Drogen verkauft, Waffen, gefälschte Papiere und nachgemachte Markenprodukte von der Gucci-Tasche bis zum iPhone.
Es sind Kaufhäuser, die keine Grenzen kennen. Das Angebot von Händlern, die sich „mikedelacruz“, „Attila2.0“ oder „Pckabml“ nennen, wird wie bei Ebay in übersichtlichen Listen präsentiert: Ein echter südafrikanischer Führerschein, in den der Verkäufer Passbild und Daten des Käufers einzutragen verspricht, kostet 299 Dollar. Zwei Pistolen Marke Glock knapp 2.700, ein von Hackern geknackter Account beim Online-Zahlsystem Paypal 50 Dollar. Wobei der Verkäufer mit dem Versprechen lockt, dass das Paypal-Konto ein Guthaben von 500 Dollar aufweise. Ein Bombengeschäft. Nur für wen?
Im sogenannten Darknet (englisch für "dunkles Netz") können sich Internetnutzer fast komplett anonym bewegen. Der Bereich des Internets wird von Menschen genutzt, die viel Wert auf Privatsphäre legen oder in einem repressiven politischen System leben - aber auch von Kriminellen. Der Zugang ist über eine Anonymisierungssoftware möglich, etwa die kostenlose Software "Tor".
Schwerpunkt illegaler Geschäfte im Darknet ist nach Einschätzung von Ermittlern Rauschgift. Waffen werden im Darknet nach Erkenntnissen von Fachleuten deutlich seltener angeboten als Drogen, sind aber angesichts der Sicherheitslage Schwerpunkt der Ermittlungen. Zudem spielt der Handel von Kinderpornografie, Falschgeld und gefälschten Pässen eine Rolle. (dpa)
In den Schattenshops gibt es nichts, was es nicht gibt. Ein angeblich lebenslanger, weil illegaler Zugang zum Online-TV-Sender Netflix kostet nur 5,99 Dollar. Einen lebenslanger Zugang zu Apple Musik - normalerweise 9,99 Euro im Monat - gibt es für einmalig 2,69. Die anonyme französische Sim-Karte samt sogenanntem Burner-Handy, das es unmöglich macht, den Anrufer zu identifizieren, kostet 600. Dazu liegen endlos Medikamente wie Insulin, aber auch tödliches Arsenpulver und Zyankali-Pillen in der Auslage. Direkt neben Anleitungen zum Überstehen von Drogentests und Tazern mit garantierten fünf Millionen Volt. „Schießt eine tödliche Ladung auf 50 Meter“, wirbt der Verkäufer.
Ein Gruselbasar, in dem sogar ganze Persönlichkeiten zu kaufen sind. Für nur 2,99 Dollar bietet der Händler Philobeto einen „Fullz“ an. Dabei handelt es sich um die komplette Datengeschichte eines echten, lebendigen Menschen, also dessen persönliche Angaben, Adresse, seine Kreditkartennummern, Bankkonten, Geheimzahlen, Steuerdaten. Alles bereit, zu irgendwelchen Zwecken missbraucht zu werden. Ein Stück weiter wartet eine Uzi-Mpi für 2.250 Euro. Und darunter preist das Anabolic Paradise eine komplette Drogenküche für daheim an, samt Technik und Chemikalien: „Auspacken, anfangen“.
Viel ist hier Betrug, so viel, dass es für „Scam“ eigene Meldeforen gibt. Viel ist aber auch Massengeschäft. Marktplätze wie Alphabay, Outlaw Market oder Hansa zählen täglich Zehntausende Besucher, die bei Hunderten von Händlern einkaufen. Ähnlich wie in richtigen Online-Läden gibt es ein Punktesystem, mit dem Kunden die Verkäufer bewerten können. „War eine Superparty“, lobt der Käufer eines Gramms Kokain einen Versender, der sich DerHeissenberg nennt.
DerHeissenberg ist Deutscher, er bietet Drogen von Kokain über Crystal bis zu Cannabis, züchtet selbst und versendet in alle Welt. Ein Profi mit fünfstelligen Umsätzen. Lieferfrist drei Tage. „Unsere Sendungen sind dreifach vakuumverpackt“, beruhigt er Kunden, die Angst haben, dass Drogenhunde ihre Lieferung „Heissenberg Haze“ für 64 Euro aufspüren könnten. „Alles sicher getarnt.“ Fast 2.400 Kunden hat Heissenberg allein bei Valhalla bedient. Nie ist was passiert.
Darknet: Welche Auswirkungen könnte es auf Sachsen Anhalt haben?
Jenseits des Versandweges besteht auch wirklich kaum ein Risiko. Durch die verschlüsselte Kommunikation zwischen Käufer und Verkäufer haben Behörden keine Chance, die realen Personen hinter einer Transaktion aufzuspüren, wenn sie es nicht schaffen, selbst ein Geschäft anzubahnen und den Verkäufer wie im Fall des Marburger Waffenhändlers aus der virtuellen Deckung zu locken. Da auch die Bezahlung mit Bitcoins über sogenannte Tumbler läuft, die die Herkunft der ursprünglichen Münzen extra verschleiern, sind Festnahmen wie im Münchner Amokfall die seltene Ausnahme.
Ist das Darknet also der Drogenmarkt der Zukunft? Lässt ein für Ermittler fast unzugängliches System den Einkauf von Rauschgift normal werden wie den Bücherkauf bei Amazon? Stehen die Drogenverkäufer am Bahnhof Magdeburg oder am halleschen Riebeckplatz vor der Arbeitslosigkeit? Und wird illegaler Waffenkauf bald zum Alltag?
Darknet: Monatlich bis zu 19 Millionen Euro Umsatz
Nun, nach einer Untersuchung des Genfer Small Arms Survey ist der illegale Handel mit Kleinwaffen weltweit etwa sieben Milliarden Dollar schwer. Die Marktplätze im Darknet bringen es dagegen alle zusammen auf ein Handelsvolumen von zwei bis fünf Millionen im Jahr. Und auch bei den Drogen bleibt die wirkliche Welt unangefochten Handelsplatz Nummer 1. Nach einer Studie der Rand Corporation aus den USA machen die Kryptomärkte im Darknet derzeit im Monat etwa zwölf bis 19 Millionen Euro Umsatz mit Drogen. Verglichen mit den zwei Milliarden Euro im althergebrachten Straßenhandel ist das nicht mal ein Promille. (mz)
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