Berlin Berlin: Philharmonie weicht auf die Waldbühne aus

Berlin/dpa. - Das Feuer ist erloschen, die Musik verstummt nicht:Nach dem Brand in der Berliner Philharmonie bleibt das kulturelleWahrzeichen der deutschen Hauptstadt zwar zunächst bis Anfang Junigeschlossen, die Berliner Philharmoniker spielen aber weiter. Wenn andiesem Samstag (24. Mai) der Dirigent Claudio Abbado und der PianistMaurizio Pollini in der Berliner Waldbühne als Ausweichspieltätte zuBeethovens 4. Klavierkonzert ansetzen, werden die Flammen eine böseErinnerung sein.
«Wir hatten Riesenglück!», sagte die sichtlich erleichterteIntendantin Pamela Rosenberg am Mittwoch. Vor allem dank derumsichtigen Arbeit der Feuerwehr sei das Haus vor einer Katastrophebewahrt worden. Die «Superkonstruktion» von Architekt Hans Scharounaus Zement und Stahl habe das Schlimmste verhindert, betonte miteinem Beiklang von Bewunderung auch der Technische Direktor derPhilharmonie, Yorck Koch. Und Orchestervorstand Peter Riegelbaueratmete tief durch: «Kein Instrument wurde beschädigt.»
Ausgerechnet wenige Tage bevor Abbado, der als frühererChefdirigent jeden Mai nach Berlin zurückkehrt, drei ausverkaufteKonzerte in die Philharmonie dirigieren sollte, hatten die Flammen imDach einen Millionenschaden angerichtet. Fieberhaft suchte die Spitzeder Philharmonie nach einen Ersatzspielort. Vor allem Hector Berlioz'«Te Deum», das neben Beethovens Konzert unter freiem Himmel erklingensoll, erfordert viel Harmonie bei der Logistik. Für das Mammutwerkdes französischen Komponisten müssen mehr als 600 Sänger und Musikerauf die Bühne, darunter mehrere Kinderchöre, die in dutzenden Bussenan die Bühne gefahren werden müssen.
Noch am Dienstagabend waren offene Instrumentenkasten, halb leerePlastikbecher, angeknabberte Brötchen das sichtbare Zeichen für dieEile, mit der die Musiker kurz vor einer Probe das Haus verlassenhatten. Der 74-jährige Abbado gehörte zu jenen, die sich in demGebäude aufhielten, als das Feuer ausbrach.
Dann am Mittwoch: Ein riesiger schwarzverrusster Fleck auf demDach der goldschimmernden Philharmonie zeugte vom Zerstörungswerk derFlammen. Kaum ein Konzerthaus in Deutschland steht derart imRampenlicht der Klassik-Fans. Ob Dirigenten wie Herbert von Karajan,Zubin Mehta oder Leonard Bernstein, ob Musiker wie Vladimir Horowitz,Yehudi Menuhin oder Isaac Stern: Wer etwas in der Musikwelt bedeutet,hat schon einmal im verschachtelten Zeltbau am Potsdamer Platzgespielt.
Die Eröffnung der Philharmonie am 15. Oktober 1963 mit BeethovensNeunter unter Karajan läutete eine Revolution im Konzertbetrieb ein.Erstmals saßen die Zuhörer nicht mehr frontal zur Bühne, sonderngruppierten sich wie in einer griechischen Agora demokratisch undfast gleichberechtigt um das Podium. Und dort, wo hinter dem Rückendes Orchesters die Plätze am günstigsten sind, wurde es oft amspannendsten: Von hier aus blicken die Zuschauer in die Augen desDirigenten und können ihm bei der Arbeit direkt zugucken. DerDirigent Hans Knappertsbusch war über soviel Intimität entsetzt. Auchder populären Musik bat die Philharmonie eine Bühne: Hier traten UdoJürgens, Hildegard Knef und Mireille Mathieu auf, lange Jahre gab esdas Berliner Jazzfestival.
Ihre erste historische Stätte hatten die Philharmoniker 1944verloren. Das Gebäude des Architekten Franz Schwechten in derBernburger Straße am Anhalter Bahnhof ging in einer Bombenacht inFlammen auf. Nach dem Krieg spielte das Orchester im Titania-Palastin Berlin-Steglitz und in der Hochschule für Musik.
In dem Unglück vom Dienstag entdeckten die Philharmoniker aucheine Chance. Rund 12 000 Karten sollen in den nächsten Tagen verkauftwerden. Für 30 Euro versprechen die Musiker jedem Zuhörereinunvergessliches Erlebnis. 500 Feuerwehrleute und Polizisten sindmit ihren Familien zum Konzert eingeladen - als Dankeschön für dieRettung des Hauses.