Berlin Berlin: Mit Stinkbomben gegen Nachtschwärmer

Berlin/dpa. - Für Dolce Vita in Kreuzberg braucht es kaum mehrals Pizza in Pappschachteln und Wein aus dem Supermarkt. Wer früh amAbend da ist, erobert sich zum Sitzen einen Poller auf derAdmiralbrücke, der Rest lässt sich auf dem Pflaster mitten auf derStraße nieder. Ein Mann verkauft Bier aus einem Bollerwagen. DerGeruch von Döner und Gras liegt in der Luft, als der erste Trommlerzur Bongo greift.
Etwas unsicher stehen zwei Engländerinnen zwischen den Sitzenden.Sie haben in einem Internetforum gelesen, dass die Brücke ein guterOrt «zum Chillen» sei und man ungezwungen Leute kennenlernen könnte,womöglich sogar Berliner.
Sie sind nicht die einzigen, die das gehört haben. Auf Flyern vonBilligfluglinien wird die Admiralbrücke Backpackern und anderenTouristen als Partyort angepriesen. Und auch der Konflikt, mit denen,die nicht feiern, sondern schlafen wollen, hat sich rumgesprochen:Als der «Spiegel» im vergangenen Jahr die «Dauerparty-Zone Berlin»ausrief, war auch die Admiralbrücke gemeint.
Wo noch vor wenigen Sommern nur einzelne Träumer in dieuntergehende Sonne über dem Landwehrkanal blinzelten, sitzen an lauenAbenden schon knapp hundert Leute. Je länger es draußen warm ist,desto mehr werden sie und desto länger wird der Abend. Dann wird ausitalienischer Leichtigkeit ein Massenbesäufnis auf der Straße.
Im vergangenen Sommer verging kaum eine Nacht ohne Blaulicht. DiePolizei verscheuchte lärmende Nachtschwärmer von der verschnörkelten,130 Jahre alten Brücke. Meist dauerte es keine halbe Stunde, dannwaren alle wieder da.
«Brunftschreie der Besoffenen»
Anwohnerin Stefanie kann die Bongotrommeln nicht mehr hören. «Seitdrei Jahren haben wir jetzt da drüben den Ballermann.» Der Höhepunktseien die E-Gitarren-Konzerte mit Verstärker um 2.00 Uhr nachts, dazukommen «Brunftschreie der Besoffenen», erzählt die 31-Jährige, dieihren Nachnamen aus Angst vor Anfeindungen nicht nennen will.
Lärm ist nicht das einzige Problem: Die Feiernden hinterlassenjede Menge Müll. «Sie pissen in die Hauseingänge, direkt an dieTüren», schimpft Stefanie. Hunde tapsten auf der Brücke inGlasscherben.
Der Kioskbesitzer direkt an der Ecke zur Admiralbrücke hat fürBeschwerden kein Verständnis. Mit seinem Spätkauf voll von Chips,Bionade und Bier ist er Hauptversorger der Partygemeinde. Ist eswarm, brummt sein Laden bis in die Morgenstunden. Die Anwohner, dieständig die Polizei rufen, nerven ihn gewaltig. «Wer Dampfbad sitzt,schwitzt», sagte der Geschäftsmann. Wer das nicht abkönne, müsse haltwegziehen.
Stefanie denkt nicht daran. Sie schloss sich mit anderen Anwohnernzu einer Initiative zusammen, um nach einer Lösung zu suchen. Dochreden war zwecklos. Ein Schild mit freundlichem Hinweis auf dieNachruhe wurde herausgerissen. Eine wütende Anwohnerin warf sogareine Stinkbombe. Selbst das - vergebens.
Als Stefanie vor 13 Jahren herzog, war das Viertel eine ruhigeEcke. Jetzt sind viele Studenten hergezogen. Kleine Geschäfte weichenhippen Kneipen. Die Gründerzeithäuser sind renoviert, ausMietwohnungen wird Eigentum, aus Leerstand Galerie. LangjährigeAnwohner fühlen sich von steigenden Mieten bedroht. Stefanie gefälltsich nicht in der Spießerrolle. Sie sitzt selbst gerne auf der Brückeund trinkt ein Bier. «Es geht doch nur um gegenseitige Rücksicht.»
Alle Hoffnungen ruhen nun auf zwei Mediatorinnen. Eine derStreitschlichterinnen ist Sosan Azad. Die Sozialpädagogin will in dennächsten Wochen jeden Abend auf die Brücke gehen und die Stammgästeansprechen. «Wir wollen Strukturen schaffen, in denen die, die häufigauf der Brücke sind, den Touristen vorleben, wie man sich dortverhält», sagt Azad. Sie glaubt, dass es so gut klappt wie in Köln:Dort konnten Mediatoren auf dem Brüsseler Platz in einem ähnlichemKonflikt den ersehnten Frieden schaffen.