Berlin Berlin: Hauptbahnhof erneut evakuiert

Berlin/dpa. - Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage ist der Berliner Hauptbahnhof am Sonntag wegen Sturmwarnungen fünf Stunden lang gesperrt worden. Rund 1500 verärgerte Fahrgäste wurden binnen weniger Minuten aus dem eine Milliarde Euro teuren Prestigeprojekt von Bahnchef Hartmut Mehdorn hinauskomplimentiert. Züge rollten ohne Halt durch. «Keiner weiß, was los ist - das ist nicht normal», schimpfte ein gestrandeter Reisender. Eine junge Mutter war den Tränen nahe, als sie mit ihrem Kinderwagen nach draußen in Wind und Regen geschickt wurde. Auch das Bahnpersonal verstand die Welt nicht mehr. «Nehmen Sie doch ein Taxi und reichen die Quittung bei der Bahn ein», hieß es hilflos.
Dabei hatte sich der erste Ärger noch gar nicht richtig verzogen:Das erst vor acht Monaten eröffnete Vorzeigeobjekt der Bahn war erstin der Nacht zu Freitag wegen des Orkans «Kyrill» komplett gesperrtund geräumt worden. Ein tonnenschwerer Stahlträger war aus etwa 40Metern Höhe aus der Fassade in die Tiefe gestürzt. Zwei weitere Teilehatten sich ebenfalls gelöst, waren aber nicht heruntergekracht.Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Erst nach 14-stündigerSperrung war der Zugverkehr am Freitagmittag wieder angerollt.
Um auf Nummer Sicher zu gehen, hatte die Bahn nach der erstenSperrung bekannt gegeben, dass der als Meisterleistung modernerIngenieurbaukunst gelobte Bau vorerst nur bis zur Windstärke 8 inBetrieb bleiben soll - bereits am Sonntag trat der Ernstfall ein.Erst durch den Sturm war bekannt geworden, dass die mehr als 100waagerechten Stahlträger der Fassade nicht befestigt sind, sondernaus architektonischen Gründen nur wie Regalbretter lose auf kleinenVerstrebungen lagern. Als Konsequenz will die Bahn die Träger nunaber befestigen und verschweißen.
Schon die erste Sperrung hatte zahlreiche Reisende verärgert undgegen die Bahn aufgebracht. Sie konnten zunächst noch halbwegsberuhigt werden - die Bahn wollte Kulanz walten lassen undReisegutscheine verteilen. Ob damit jetzt noch etwas zu retten ist,bleibt fraglich. Denn was sich am Sonntag abspielte, zeugte von wenigProfessionalität. Zuerst hieß es, der Bahnhof sei komplett gesperrt.Das korrigierte schon wenige Minuten später eine Sprecherin undteilte mit, der Verkehr sei nur im oberirdischen Teil unterbrochen.
Die Bundespolizei hingegen schob die Reisenden aus dem Bahnhof und ließ rund fünf Stunden lang keinen mehr hinein. Auch die Geschäfte und Restaurants in der «Kathedrale des Reisens» machten dicht. Vom viel beschworenen Hauptstadt-Flair blieb nicht mehr viel übrig, als sich aufgebrachte Fahrgäste mit Koffern und Taschen bepackt vor dem Glaspalast in Sichtweite von Kanzleramt und Reichstag wiederfanden. Bahnchef Hartmut Mehdorn huschte noch hastig in die Station.
Fragen zu Sicherheit und Verantwortung wird er in den nächstenTagen nicht entgehen können. Am Freitag hatte er noch gesagt, der Vorfall sei «natürlich schade», eine Katastrophe sei es aber nicht gewesen. Die Bundestagsfraktion der Grünen kündigte dagegen ein parlamentarisches Nachspiel an. Sie will, dass Mehdorn im Verkehrsausschuss Rede und Antwort steht.
Bahnhofs-Architekt Meinhard von Gerkan warnte indes vor voreiligen Schuldzuweisungen, bevor die Ursache sicher geklärt sei. Der Absturz des Stahlträgers habe ihn «schwer erschüttert» und ihm schlaflose Nächte bereitet, wie der Architekt der dpa sagte. «Das ist ein Unding, aber ich habe dafür noch keine schlüssige Erklärung.» Diese Erklärung fehlte auch den vielen Reisenden, für die sich die Türen am Sonntagabend erst um 20 Uhr wieder öffneten.

