Berlin Berlin: 35 Linden verschwinden Unter den Linden

Berlin/AFP. - Die berühmteste Straße Deutschlands trägt einen romantischen Namen, der schon bald - zumindest teilweise - in Frage gestellt wird: Unter den Linden heißt der anderthalb Kilometer lange Prachtboulevard vom Brandenburger Tor bis zum Schlossplatz in Berlin, doch Bäume stehen auf nur etwa 800 Metern Länge, knapp 350 Linden - und 35 werden in den nächsten Wochen verschwinden.Schuld ist ein neuer U-Bahnhof, der unter der Kreuzung Unter den Linden und Friedrichstraße gebaut werden soll.
Die Linden werden bis spätestens Anfang März der Baugrube zum Opfer fallen. „Wir brauchen Baufreiheit“, sagt die Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Petra Reetz. Zwölf Monate lang werden an einer der prominentesten Kreuzungen der Hauptstadt, wo täglich Tausende Touristen und Berliner von West nach Ost und Nord nach Süd strömen, Bagger und Kräne das Bild bestimmen. Für die Bäume ist da kein Platz.
Die Arbeiten dienen einem Projekt, an das viele Berliner nur ungern denken: der Verlängerung der U-Bahn-Linie 5. In den euphorischen Nachwendejahren hatten eifrige Planer eine U-Bahn-Verbindung vom Alexanderplatz zum neuen Hauptbahnhof entworfen. Zwei Stationen wurden bereits unter dem Bundestag und dem Pariser Platz gebaut und bilden jetzt die Kurz-Bahn U55. Jetzt geht die Zusammenführung der Strecke in Richtung Alexanderplatz unterirdisch weiter.
„Kanzler-U-Bahn“ oder „Stummel“ verspotten die Berliner das Projekt, das nach Schätzungen von Experten die teuerste U-Bahn-Linie ist, die bundesweit gebaut wurde. Laut BVG sind für den Bau vom Alexanderplatz bis zum Hauptbahnhof, insgesamt 433 Millionen Euro veranschlagt - für eine Strecke von nicht einmal vier Kilometern.
Der Umgang mit den Bäumen weckt dabei Kopfschütteln bei den Umweltschützern. „Bäume werden in Berlin behandelt wie Verfügungsmasse - wie Möbelstücke“, sagt Christian Hönig von der Umweltschutzorganisation BUND und zuständig für die Kampagne „Bäume für Berlin“. Er kritisiert den „technischen Ansatz“ gegenüber Umpflanzungen, der nicht so „verantwortungsvoll“ sei, wie nötig. „Da geht es immer: alte Bäume raus, neue Bäume rein.“
Auch an der Stelle, wo der neue U-Bahnhof entsteht, sollen nach Abschluss der Arbeiten wieder Linden gesetzt werden. „Wir haben uns sogar verpflichtet drei neue Bäume zu pflanzen, wo wir einen rausnehmen“, sagt BVG-Sprecherin Reetz. Diesen Vorsatz begrüßen die Umweltschützer zwar. Sie können nach eigenen Angaben aber nicht sicher sein, ob er tatsächlich eingehalten werde. „Es gibt kein Beteiligungsverfahren bei solchen Entscheidungen“, sagt die Geschäftsführerin des Naturschutzbunds (NABU) Berlin, Anja Sorges. Umweltverbände erführen häufig nur durch „aufmerksame Mitbürger“, wenn Bäume gefällt werden.
Die Kampagne „Bäume für Berlin“ verfügt zudem über Zahlenmaterial, dass der Baumbestand in Berlin jedes Jahr geringer wird. Zwischen 2005 und 2009 seien der Stadt rund 9200 Bäume verloren gegangen. Der Bezirk Mitte, wo sich auch Unter den Linden befindet, bildet dabei eine Ausnahme. Lediglich hier und im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurde mehr gepflanzt als gefällt. Die Statistik befindet sich quasi im grünen Bereich.Reetz betont, dass die neuen Bäume keine kleinen Setzlinge seien, sondern mehrjährige Bäume. „Da sehen sie den Unterschied bald nicht mehr - das ist schon am Pariser Platz festzustellen“, sagt sie. Dem kann Hönig nicht zustimmen.
„Diese Bäume haben noch lange nicht aufgeschlossen“, sagt er. Bäume könnten Wachstum nur in begrenztem Maße „einholen“. „Erst, wenn sie 300 Jahre alt sind, beginnen Linden zurückzuwachsen“, erklärt er. Bis dahin werden sie größer. Da die jetzigen Linden auf dem Prachtboulevard im Schnitt erst nach dem Krieg gepflanzt wurden und somit rund 60 Jahre alt seien, werde er den Tag nicht erleben, wo die alten und neuen Bäume gleich groß seien.