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Extremismus und Gewalt Bericht: Rechtsextremismus dank AfD-Erfolgen Normalität

Die Demokratie in Sachsen ist von innen und außen bedroht. Gewalt und Antisemitismus nehmen weiter zu. Die Behörden beobachten mit Sorge, dass Radikalisierung schon im Kinder- und Jugendalter beginnt.

Von dpa Aktualisiert: 03.06.2025, 16:15
Bericht: Rechte Szene profitiert von AfD-Erfolg - Verjüngung überall (Archivbild)
Bericht: Rechte Szene profitiert von AfD-Erfolg - Verjüngung überall (Archivbild) Sebastian Kahnert/dpa

Dresden - Sachsens Verfassungsschutz sieht Rechtsextremismus weiterhin als die größte Bedrohung von Demokratie und Rechtsstaat. „Das Personenpotenzial stieg 2024 weiter an auf ungefähr 6.000“, sagte der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutzes, Dirk-Martin Christian, bei der Vorstellung des Jahresberichts in Dresden. Das entspreche einem Zuwachs von 250 Personen, im Wesentlichen durch steigende Mitgliederzahlen der AfD, „aber auch bei der Jungen Alternative und dem Dritten Weg“.

Die Analyse zeugt von der Radikalisierung der Gesellschaft, „dass Gewalt zunimmt und dass Toleranz abnimmt“, sagte Innenminister Armin Schuster (CDU). „Der Verfassungsschutz stellt fest, dass die Radikalisierung in allen Szenen bereits im Kindes- und Jugendalter beginnt.“ Damit sei die gesamte Gesellschaft gefordert, denn es zeige, dass es ein Erziehungs-, Bildungs- Aufklärungs- und Wertevermittlungsproblem gebe.

Der anhaltende Trend der Verjüngung wird laut Schuster von weiterhin gesteigerter Gewaltbereitschaft begleitet. Ein weiterer Schwerpunkt sei der wachsende Antisemitismus, „stark getriggert durch den Nahost-Konflikt“. Die fortschreitende Vernetzung von Linksextremisten und auslandsbezogenen Extremisten vor allem bei pro-palästinensischen Aktivitäten gebe „Grund zu höchster Aufmerksamkeit“.

Neue Herausforderungen sind Cyberspionage und Bedrohung, vor allem auch durch Desinformationskampagnen im Wahlkampf, sagte Schuster. Und Sachsen sei Ziel hybrider Angriffe. Landeskriminalamt und LfV müssten für Spionageabwehr gestärkt werden, gegen Cyberattacken, Drohnenüberflüge oder Anschläge wie bei DHL. Das seien klare Angriffe auf den Staat, „gegen die wir uns wappnen müssen“, personell, rechtlich und technisch.

Erneuter Anstieg rechter Straftaten - Gewalttaten verdoppelt

Die Zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund ist gegenüber dem Vorjahr erneut stark angestiegen, von 2.566 auf nun 3.919. Dabei nahmen die Gewalttaten um fast 58 Prozent zu und liegen mit 109 erstmals nach Jahren wieder auf dreistelligem Niveau - 62 davon waren dem Bericht zufolge fremdenfeindlich, das waren 21 mehr als 2023. 

Auch Propagandadelikte wie Verbreiten und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nahmen mit 3.271 nochmals deutlich zu, sie machten mit 83,5 Prozent den überwiegenden Teil rechtsextremistischer Straftaten aus. „Erschreckend hoch ist der Anteil der Täter im Alter von unter 18 Jahren“, sagte Christian.

AfD mit Zuwachs und wachsendem politischen Einfluss

Das LfV hält vor allem die Verjüngung von Rechtsextremisten für besorgniserregend. „Der Gewöhnungseffekt, wenn sie aufgrund von Wahlerfolgen plötzlich dazugehören, macht offenbar etwas mit der Gesellschaft“, sagte Christian. Der deutliche Stimmenzuwachs für AfD und Freie Sachsen bei den Wahlen 2024 belege die Verschiebung. Es gebe eine „beängstigende Normalität“ und hohe Zustimmungsraten unter jungen Menschen. „Rechtssein gilt als cool, vielleicht als Inbegriff der Rebellion.“

1.550 Mitglieder der AfD stuft der Bericht als rechtsextremistisch ein. Das entspreche denen, die seinerzeit dem Flügel angehörten und inzwischen in Führungspositionen und als Mandatsträger auf Landes- und kommunaler Ebene verantwortlich für die ideologische Ausrichtung der Partei sind, sagte Christian. „Der Landesverband konnte seinen politischen Einfluss ausbauen.“

Der Landesverband habe 2024 weiteres politisches Terrain gewonnen, sei noch tiefer in die Wählerschichten vorgedrungen und „geriert sich einmal mehr als Wolf im Schafspelz“, sagte Christian. Dabei suche die Partei engen Schulterschluss mit anderen erwiesenen Rechtsextremisten, vor allem der Freien Sachsen, „mit denen sie ganz offen kooperieren“.

2024 gab es mit insgesamt acht zwei rechtsextremistische Konzerte weniger als im Jahr davor. Laut LfV waren im Freistaat 26 Musikgruppen, Liedermacher und Solointerpreten aktiv. Landesweit waren 37 Immobilien und Objekte Eigentum von Rechtsextremisten oder langfristig gemietet, um laut LfV-Bericht „in den eigenen vier Wänden“ die verfassungsfeindliche Ideologie ungestört auszuüben.

Rund 3.000 Reichsbürger und Selbstverwalter - Aber Dunkelfeld 

Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter schätzt das LfV auf etwa 3.000 Personen, geht laut Christian aber auch von einem Dunkelfeld aus, vor allem im Erzgebirgskreis und im Kreis Bautzen. „Lediglich 2,9 Prozent haben ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild, ansonsten aber „völlig unterschiedliche Agenden“ und Betätigungsfeldern. Sie eine das Ziel, Freiheit und Demokratie zu beseitigen. Das unlängst verbotene „Königreich Deutschland“ umfasse im Freistaat rund 300 Personen.

Zulauf junger Menschen auch bei Linksextremisten

Das linksextremistische Potenzial lag 2024 laut dem Bericht bei rund 900 Personen. „Die autonome Szene dominiert unverändert in Sachsen“, sie machte mit 420 Personen die Mehrheit aus - 30 weniger als 2023. Schwerpunkt sei unverändert Leipzig. „Das Aktionsniveau der autonomen Szene insgesamt ist zurückgegangen, aber das Bündnis Antifa Ost existiert weiterhin“, sagte Christian. Der restliche Linksextremismus habe Zulauf vor allem von sehr jungen Menschen.

„Nach wie vor betrachtet die autonome Szene die Begehung auch schwerster Straftaten als legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung“, sagte Christian. Die Zahl der Gewaltstraftaten hat sich mehr als halbiert, von 191 auf 92 oder um 52 Prozent. Möglicherweise sei das das Ergebnis der andauernden polizeilichen Fahndung und Ermittlungsverfahren.

Der Anteil linksextremistisch motivierter Straftaten stieg indes um 37 Prozent an, von 804 auf 1.099, vor allem in zahlreichen Landkreisen nahmen Fälle von Sachbeschädigung zu. Den Grund sieht Christian in den Wahlkämpfen, der ideologischen Auseinandersetzung mit rechts, aber auch der Nahost-Konflikt „ist im sächsischen Linksextremismus angekommen“.