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Belgien Belgien: Niemand spricht mehr vom Netzwerk hinter Dutroux

Von Roland Siegloff 14.06.2004, 15:21

Arlon/dpa. - Niemand spricht mehr vom Netzwerk. Das Wort ist zumTabu geworden im Schwurgericht von Arlon, wo sich der vorbestrafteKinderschänder Marc Dutroux und drei Mitangeklagte für die Entführungvon sechs und den Tod von vier Mädchen verantworten müssen. AnfangMärz, als der Prozess rund acht Jahre nach den angeklagten Tatenbegann, waren Netzwerk und einflussreiche Hintermänner noch in allerMunde. 68 Prozent aller Belgier glaubten an ein kriminelles Netzwerkhinter Dutroux. Und erst dieser Glaube machte den Fall Dutroux zurStaatsaffäre.

Im Gerichtssaal von Arlon ist vom Netzwerk höchstens nochunterschwellig die Rede: Georges-Henri Beauthier, Rechtsanwalt desüberlebenden Dutroux-Opfers Laetitia Delhez und einer der eifrigstenVerfechter der Theorie vom Pädophilen-Ring hinter Dutroux, will nievon einem Netzwerk gesprochen haben. Dutroux selbst ergeht sich indüsteren Andeutungen: «Ich bin eine Marionette in einemAlibiprozess», sagte der Hauptangeklagte in seinem Schlusswort. Undauch sein Verteidiger Xavier Magnée hat keine Antwort auf die Frage,wer denn die ranghohen Hintermänner sein könnten.

Genährt worden war die These vom Kinderschänder-Netzwerk durchzahlreiche Ermittlungspannen von Polizei und Justiz. So konnte etwader Fahnder René Michaux auch als Zeuge im Gericht nicht wirklichüberzeugend erklären, warum er nie das Kinderversteck im Keller desDutroux-Hauses in Charleroi bei mehreren Durchsuchungen entdeckte.Untersuchungsrichter Jacques Langlois musste sich seinerseitsvorwerfen lassen, er habe nur an Dutroux als Einzeltäter geglaubt undsei vielen Spuren nicht nachgegangen.

Diese Spuren, das wurde im Prozess ebenfalls deutlich, weisen aufein weit verzweigtes System krimineller Beziehungen rund um Dutrouxhin. Autoschiebereien, Einbrüche und Drogenhandel gehörten in seinemMilieu zum Tagesgeschäft. Die Täter agierten in einem weitgehendrechtsfreien Raum. Polizisten hielten ihnen laut Zeugenaussagen denRücken frei, weil sie auf die Hinweise ihrer kriminellen Tippgeberangewiesen waren oder auf andere Weise von deren Straftatenprofitierten. In dieses Wespennest der Mafia von Charleroi habe auchUntersuchungsrichter Langlois nicht stechen wollen.

Als Dutrouxs Verbindungsmann zu Kinderschänder-Ringen galt stetsder Mitangeklagte Michel Nihoul. «Ich weiß, dass nur wenige michsympathisch und viele sehr unsympathisch finden», sagte Nihoul inseinem Schlusswort. Dutroux beschuldigt ihn, Auftraggeber derEntführungen Mitte der 90er Jahre gewesen zu sein. Doch die Anklagegegen Nihoul beruht vor allem auf Indizien: Ob er wirklich wegen derEntführung Laetitias so eifrig mit Dutroux telefonierte und die Tatspäter mit 1000 Extasy-Pillen bezahlte, erscheint vielen ungewiss.

Am Urteil gegen Nihoul wird sich deshalb erweisen, was am Ende desProzesses von der Netzwerk-These übrig geblieben ist. Die Anklagespricht juristisch nüchtern von der Bildung einer kriminellenVereinigung. Halten die zwölf Geschworenen den vorbestraften BetrügerNihoul für ein Mitglied dieser Bande, dann dürfte dies den Glauben aneinflussreiche Hintermänner nähren. Endet das Verfahren für ihnhingegen mit einem glatten Freispruch, dann wird damit auch dieNetzwerk-Theorie zu den Akten gelegt.