1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Belgien: Belgien: 80 Tage im Keller des Kinderschänders

Belgien Belgien: 80 Tage im Keller des Kinderschänders

Von Roland Siegloff 24.02.2003, 17:07
Sabine Dardenne (Foto: dpa)
Sabine Dardenne (Foto: dpa) BELGA FILES

Brüssel/dpa. - Wasser aus einem Kanister, altes Brot und kalte Bouletten mitTomatensoße aus der Dose bekam das Mädchen im Keller desDutroux-Hauses in Marcinelle zu essen und zu trinken. Manchmal habeDutroux sie in die Küche geholt. «Dann aß er Schokolade und Bonbons»,erinnert sich das Opfer. «Ich bekam nichts Leckeres.»

Sie war auf dem Weg zur Schule, als Dutroux und ein Komplize diedamals Zwölfjährige am 28. Mai 1996 vom Fahrrad rissen. Die Täterbetäubten das Mädchen. In einer Metallkiste trugen sie das Kind indas Horror-Haus. «Dort hat er mich nackt aufs Bett gelegt und miteiner Kette um den Hals angebunden», zitiert die Zeitung «DeStandaard» das Mädchen. Später musste sie im Keller auf einerschmutzigen Matratze schlafen. «Meine Kleider wurden nie gewaschen»,erinnert sich Dardenne. «Die Shorts und das T-Shirt, die ich beimeiner Befreiung anhatte, habe ich die ganze Zeit getragen.»

Marc Dutroux ist wegen früherer Taten bereits als Kinderschändervorbestraft. In den Interviews vom Montag deutet die Hauptzeugineinen sexuellen Missbrauch nur an: «Er war jedes Mal rasend, wenn ichnicht tat, was er wollte.» Aber in einem selbst gemachten Kalenderhat Sabine Dardenne eine Art Tagebuch des Leidens geführt.

«Ein Kreuz bedeutete, dass Dutroux an dem Tag im Keller gewesenist», erklärt Dardennes Anwalt Jean-Philippe Rivière. «Wenn neben demKreuz noch ein Sternchen stand, bedeutete dies, dass er sie an diesemTag auch missbraucht hat.» Eine Legende am Fuß des Zettels erläutertedie Zeichen: «Neben dem Sternchen hatte sie geschrieben: "Das tatsehr, sehr weh."» Seinem Opfer erzählte der Entführer, er beschützees gegen einen bösen Chef. «Ich hasste ihn für das, was er mit mirtat, und zugleich hasste ich ihn nicht, weil er mir half», erinnertsich die junge Frau. «Das dachte ich zumindest.»

Die Hauptzeugin Sabine Dardenne ist eines von sechs Mädchen,dessen Entführung der Bande um Dutroux zur Last gelegt wird. ZweiOpfer überlebten die Gefangenschaft, vier starben. Dutroux und zweiKomplizen wurden im Sommer 1996 festgenommen. Seither wartet ganzBelgien auf den Prozess, der Ende des Jahres beginnen soll. Der FallDutroux und darum rankende Verschwörungstheorien hatten Belgien ineine gesellschaftliche Krise gestürzt.

Die hübsche, entschlossene junge Frau, die seit dem Abitur ineinem Versandhaus arbeitet und gerne Polizistin werden würde, hatihre nie abgeschickten Briefe aus der Gefangenschaft wieder gelesen.Sie will sich vor Gericht genau an die 80 Tage im Keller erinnern.«Ich warte ungeduldig auf den Geschworenenprozess», sagt SabineDardenne. «Da will ich Dutroux in die Augen schauen und beweisen,dass er mich nicht klein gekriegt hat, dass ich wieder lebe.»

Der wegen Kinderschändung und Entführung angeklagte Belgier Marc Dutroux steigt in der belgischen Ardennenstadt Arlon mit einer kugelsicheren Weste in ein Polizeiauto (Archivbild vom 01.02.2001). Ab dem 01.03.2004 muss sich Dutroux mit drei weiteren Angeklagten in Brüssel in einem Prozess wegen seiner Rolle bei der Entführung von sechs Mädchen, bei der Tötung von vier von ihnen und der Ermordung eines Komplizen verantworten. (Foto: dpa)
Der wegen Kinderschändung und Entführung angeklagte Belgier Marc Dutroux steigt in der belgischen Ardennenstadt Arlon mit einer kugelsicheren Weste in ein Polizeiauto (Archivbild vom 01.02.2001). Ab dem 01.03.2004 muss sich Dutroux mit drei weiteren Angeklagten in Brüssel in einem Prozess wegen seiner Rolle bei der Entführung von sechs Mädchen, bei der Tötung von vier von ihnen und der Ermordung eines Komplizen verantworten. (Foto: dpa)
BELGA