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Bayerischer Rundfunk Bayerischer Rundfunk: Behinderte Kinder in Bayern werden weggesperrt

Von Bernhard Honnigfort 06.04.2016, 18:30
Symbolbild.
Symbolbild. dpa-Zentralbild

Berlin - Es geht weder um Einzelfälle, noch um extreme Beispiele: Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks sollen Kinder mit geistiger Behinderung in Heimen des Freistaates „freiheitsbeschränkenden Maßnahmen“ unterliegen, sprich: Sie werden weggesperrt. In einem Fall, von dem der Sender im vergangenen Sommer erfuhr, ermittele nun die Staatsanwaltschaft. Die monatelangen Recherchen, zusammen mit der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit", legten nahe, dass in bayerischen Heimen Kinder immer wieder eingesperrt werden. Eine offizielle Statistik darüber gebe es in Bayern zwar nicht, aber der Sender fragte in Heimen nach.

Sozialministerium bestreitet Maßnahmen

Nur 21 von 30 Befragten antworten. Drei gaben an, auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu verzichten. 18 antwortete, sie behielten sie sich vor. Die Heime erklärten, manchmal müsse es sein: Es gehe um Deeskalation in Extremsituationen. Alle betonten, dass sie Freiheitsentzug nur in Einzelfällen und in Abstimmung mit den Eltern anwendeten.

Das Bayerische Sozialministerium jedoch hat nach Informationen des Senders bestritten, dass Kinder oder Jugendliche mit geistiger Behinderung eingesperrt würden. In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der SPD-Landtagsabgeordneten Alexandra Hiersemann heiße es: „Kinder oder Jugendliche mit Behinderung werden nicht in Zimmern oder Time-Out-Räumen eingesperrt.“ Etliche Schilderungen von Eltern behinderter Kinder im Heim und zahlreiche Dokumente belegten jedoch das Gegenteil.

Zustimmung der Eltern reiche

Zimmereinschluss, Fixierung, Time-Out-Raum - anders als bei Erwachsenen, die unter Betreuung stehen, muss bei Kindern kein Richter diese so genannten „freiheitbeschränkenden Maßnahmen" genehmigen. Es reiche die Zustimmung der Eltern. So hat es der Bundesgerichtshof entschieden. Die Eltern, heißt es in der Begründung, können dies „in Ausübung elterlichen Sorge selbst genehmigen". Bei Volljährigen, die als nicht einwilligungsfähig gelten, muss jede Form der Freiheitsbeschränkung richterlich genehmigt werden, selbst das Hochfahren des Gitters am Pflegebett.

Forderungen nach richterlichen Beschlüssen

Isabell Götz, Familienrichterin am Oberlandesgericht München und Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstages fordert, den Einsatz freiheitsbeschränkender Maßnahmen auch bei Kindern an eine richterliche Prüfung zu binden. Eltern würde der Druck der Entscheidung genommen, die Einrichtungen müssten sich einer Kontrollinstanz stellen.

Auch das Diakonische Werk Bayern fordert richterliche Beschlüsse. Es gebe Situationen, in denen behinderte Kinder beispielsweise Gitter für ihre Betten bekommen oder - unter Beobachtung von aussen - für kurze Zeit in Räume eingeschlossen würden. „Bei uns ist es in der Regel so, dass wir uns nach der Zustimmung der Eltern noch mit einem richterlichen Beschluss absichern“, sagte Diakonie-Sprecher Daniel Wagner am Mittwoch. „Wir fordern seit langem, dass das rechtlicher Standard wird.“