Baden-Württemberg Baden-Württemberg: Einsame «Ossis» suchen nach anderen Exilanten

Vaihingen/Enz/Jena/dpa. - «Nette Mails sind sehrwillkommen. Gruß an alle Umsiedler.» Donata Kirsch war vor fünfJahren aus dem sächsischen Görlitz nach Illingen bei Vaihingen ander Enz gezogen, um dort als Altenpflegehelferin zu arbeiten. Zurückließ sie Familie und Freunde - hatte dafür aber endlich wieder einenJob.
Es sei wirklich schwer, einen Bekanntenkreis außerhalb der Arbeitaufzubauen, sagt die 54-jährige Sächsin. «Die Schwaben sind ziemlicheigenbrötlerisch und zugeknöpft, lieber etwas unter sich.» Sie habedurch Zufall vom «Ossitreff» im Internet erfahren und sich gedacht:«Wenn es so viele gibt, denen es auch so geht, dann probiere ich dasmal.»
Die Website wurde vor sieben Jahren von dem Jenaer Steffen Mertenund einem seiner Arbeitskollegen ins Leben gerufen. Merten wardamals gerade von Thüringen nach Baden-Württemberg gezogen, undstellte fest, dass es im Ländle etwas anders zugeht. «Hier ist manmehr oder weniger auf sich alleine gestellt», sagt der 43-jährigeBusfahrer. Um das zu ändern, suchte er Kontakt zu anderenOstdeutschen.
Seither veranstalten Merten und seine Mitstreiter jedes Jahr eineOstrockparty. Im Oktober pilgern einige tausend Exil-«Ossis» nachUntergruppenbach bei Heilbronn und lauschen den Klängen aus derfernen und vergangenen Heimat. «Mittlerweile hat sich das soetabliert, dass die Musik eher zur Nebensache geworden ist und dieLeute hauptsächlich kommen, um sich zu treffen», sagt Merten.
Ein weiterer Höhepunkt ist in diesem Jahr der Auftritt der DDR-Kultband «Puhdys». Am 19. April spielen die fünf Rocker in Mühlackervor rund 1.300 Ossitreff-Fans viele alte und neue Lieder,wahrscheinlich auch ihren Klassiker «Alt wie ein Baum». DonataKirsch und ihre Freundin Anett Gaumer werden mit dabei sein. «Dasist die Musik meiner Jugend», sagt Anett Gaumer. Es sei witzig, inder Menge zu stehen und die Dialekte zu hören. «Vertraute Töne»,sagt sie.
Auch Anett Gaumer kommt ursprünglich aus Görlitz. Allerdings hatsie den Weg in Richtung Südwesten schon 1998 gefunden. Auch sie warlange arbeitslos und zog deshalb mit ihren beiden kleinen Kindernum. Im Kindergarten tat sie sich von Anfang an schwer, Kontakt zuden anderen Eltern aufzubauen.
Beim Grillen gebe es zwar öfters einen Plausch mit den Nachbarnüber den Gartenzaun, sagt Donata Kirsch. «Aber keine tieferenKontakte. Da wird gleich geblockt, wie bei einer unsichtbarenMauer.» In der DDR sei man auf die Nachbarn angewiesen gewesen, dieeinem etwas besorgen konnten, sagt Gaumer.
Vor allem die Sprache und der Dialekt seien ein großes Hindernis.Im Büro würde sie viele Sprüche gar nicht verstehen, sagt die 40-jährige Sachbearbeiterin. «Neulich habe ich nachschauen müssen, wases eigentlich mit dem HB-Männchen auf sich hat. Das kannte ichnicht.» So würde man schnell ins Abseits geraten. Außerdem würde manals «Ossi» auf viel Desinteresse stoßen. «Viele Wessis interessiertgar nicht, was auf der anderen Seite der Mauer los war.»
Spätestens, wenn sie Rentnerin ist, will Donata Kirsch zurück indie Heimat. Dann sagt ihr alter Nachbar vielleicht: «Schau mal, dieaus dem Westen ist wieder da.»