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Attraktion im Harz Attraktion im Harz: Wie ein Rollstuhlfahrer über den Baumwipfelpfad führt

Von Matthias Brunnert 06.11.2017, 06:58
Rollstuhlguide Timo Kazcmarek rollt mit Besuchern zur Aussichtsplattform am Baumwipfelpfad Harz in Bad Harzburg
Rollstuhlguide Timo Kazcmarek rollt mit Besuchern zur Aussichtsplattform am Baumwipfelpfad Harz in Bad Harzburg dpa

Bad Harzburg - „Alle mal näher kommen, damit Sie mich verstehen“, sagt Timo Kaczmarek. „Ich werde Sie jetzt über den Baumwipfelpfad führen“, erklärt der 40-Jährige mit kräftiger Stimme. Dann fährt er los. Der geschotterte Weg hinter dem Treffpunkt an der Burgberg-Seilbahn bis zum Eingangshäuschen ist etwas mühsam, dann geht es leichter.

Mit kräftigem Armschwung treibt Kaczmarek seinen Rollstuhl durch die 300 Meter lange Eingangskrone hinauf auf den einzigen Baumwipfelpfad im Harz. Der Pfad führt in gut 20 Metern Höhe durch die Kronen eines alten Mischwaldes bei Bad Harzburg.

Aussichtsplattform am Baumwipfelpfad: „Dorthin komme ich mit dem Rollstuhl nicht“

Seine Gruppe, lauter Fußgänger, hat Mühe, das Tempo zu halten. Oben angekommen schickt Kaczmarek die Besucher erst einmal die Stufen höher auf die Aussichtsplattform. „Dorthin komme ich mit dem Rollstuhl nicht“, sagt der 40-Jährige. Die Plattform ist der einzige nicht barrierefreie Teil des Baumwipfelpfades.

Nach ein paar Minuten ist die Gruppe zurück auf dem hölzernen Weg, der sich in luftiger Höhe durch das Tal windet. Kaczmarek ist in seinem Element. An vielen der 30 Stationen erläutert er den Besuchern die Pflanzen- und Tierwelt des Harzes. „Das macht riesigen Spaß“, sagt der 40-Jährige. Seit Juli ist er als einziger Rollstuhlfahrer Baumwipfelpfad-Guide.

Timo Kaczmarek hat an die 30 Führungen bisher absolviert

Über mangelnde Arbeit kann er sich nicht beklagen. An die 30 Führungen habe er bisher absolviert, sagt der 40-Jährige. „Zu Anfang war ich noch etwas unsicher. Und es hat Überwindung gekostet, vor vielen Leuten zu sprechen. Das hat sich inzwischen aber gelegt.“ Zur Vorbereitung habe er erfahrene Guides begleitet und viel gelesen, sagt der gelernte Uhrmacher.

Wegen massiver Rückenprobleme kann er nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. „Ich kann nicht den ganzen Tag sitzen“, sagt Kaczmarek. „Aber 90 Minuten Führung, das geht gut.“

Dass der 40-Jährige „der vermutlich erste Rolli-Guide“ auf einem Baumwipfelpfad in Deutschland geworden ist, sei Zufall, berichtet Eva Ronkainen-Kolb, die Leiterin der Touristen-Attraktion. „Er war als Rollstuhlfahrer für uns bei einem Fotoshooting. Wir wollten zeigen, dass der Baumwipfelpfad barrierefrei ist.“ Dabei sei die Idee gereift, dass es was Besonderes sei, wenn ein Rollstuhlfahrer als Guide fungiert.

Baumwipfelpfad im Harz: „Wir haben inzwischen mehr als 600.000 Gäste registriert“

Dass er nicht mehr gehen kann, liegt an einem Sportunfall, berichtet der 40-Jährige. Mit 15 verunglückte er beim Skispringen auf der inzwischen abgerissenen Schanze am Wurmberg bei Braunlage. „Seither sitze ich im Rollstuhl.“

Noch habe er zwar keine anderen Rollstuhlfahrer über den Baumwipfelpfad geführt, sagt Kaczmarek. „Ich habe aber oben welche getroffen. Und die fanden es alle super, was ich hier mache.“ Seine neue Aufgabe habe auch einen positiven Nebeneffekt. „Ich sitze nicht mehr so oft alleine zuhause rum, sondern komme unter Leute.“

Das dürfte so bleiben, der Ansturm auf den im Mai 2015 eröffneten Baumwipfelpfad ist ungebrochen. „Wir haben inzwischen mehr als 600.000 Gäste registriert“, sagt Leiterin Ronkainen-Kolb. Speziell Gruppen-Führungen würden immer besser angenommen, bei Schulklassen, aber auch bei Behörden und Firmen, die einen Betriebsausflug in den Harz machen.

Der Gruppe an diesem Tag gefällt die Führung von Timo Kaczmarek. „Ich finde es richtig gut, dass das ein Rollifahrer macht“, sagt die Organisatorin. Auch Timo Kaczmarek ist zufrieden: „Ich will das auf jeden Fall weiter machen.“ Und Ronkainen-Kolb denkt darüber nach, dass für die Aussichtsplattform ein Lift gebaut werden müsste, damit der Baumwipfelpfad komplett barrierefrei wird. (dpa)