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Argentinien Argentinien: Traumhaus über Buenos Aires

Von Claudia Isabel Rittel 05.08.2005, 07:24
Das «Landhaus» auf dem Dach eines Hochhauses im Zentrum der argentinischen Millionen-Metropole Buenos Aires (Foto vom 20.07.2005) ließ sich der Selfmademan Rafael Diaz 1927 bauen. (Foto: dpa)
Das «Landhaus» auf dem Dach eines Hochhauses im Zentrum der argentinischen Millionen-Metropole Buenos Aires (Foto vom 20.07.2005) ließ sich der Selfmademan Rafael Diaz 1927 bauen. (Foto: dpa) dpa

Buenos Aires/dpa. - Denn um es zusehen, muss man den Blick für einen Moment vom unruhigen Treiben aufdem engen Bürgersteig abwenden und auf das Dach eines neunstöckigenGebäudes schauen. Dort steht ein zweistöckiges, weiß gestrichenes undmit roten Ziegeln gedecktes Einfamilienhaus.

«Das Haus da oben hat schon immer existiert», erzählt einergrauter Kellner im gegenüberliegenden Restaurant. «Es gehörtefrüher zum Möbelgeschäft Diaz.» Außer ihm kennt es jedoch kaum nochjemand. Früher aber, in den 30er und 40er Jahren war das «Chalecitode Don Diaz» - das Häuschen von Herrn Diaz allen bekannt. Schließlichbemühte sich sein Bauherr, Rafael Diaz, erfolgreich darum, dass dieMenschen es mit seinem Geschäft in Verbindung brachten. Ganz im Sinneeines modernen Marketings.

Diaz hat eine klassische «Tellerwäscherkarriere» gemacht. Zunächstverkaufte er Stoffe. 1886 mit seiner Mutter und seinen beidenSchwestern aus Spanien ausgewandert, hatte er die Schule nur bis zurzweiten Klasse besucht. Er konnte nicht einmal schreiben. Um Geld zuverdienen - denn der 15-Jährige fühlte sich verantwortlich für seineMutter und seine Schwestern - arbeitete er nach der Ankunft in BuenosAires in einem Kurzwarenladen, wo er sein Verkaufstalent entdeckte.Nachts schlief er auf dem Ladentisch, erzählt seine Urenkelin MonicaAbal. Seine Familie, die mit anderen spanischen Einwanderern zusammenin einfachen Verhältnissen wohnte, sah er nur alle zwei Wochen.

Sein rasanter Aufstieg begann mit der Jahrhundertwende. 1901 machtsich Diaz mit einem kleinen Möbelgeschäft selbstständig. «Als erdamals das Geschäft auf Pump erstand, hielten ihn alle für verrückt»,erzählt Abal. «Aber egal was er anpackte, es wurde zu Gold.» Kurzdarauf heiratet er. Mit seiner Frau Franziska, die ebenfalls ausSpanien eingewandert war, bekommt er vier Kinder. Die Geschäftelaufen gut und die Familie besitzt ein Ferienhaus am Meer. Don Diazbeginnt in Immobilien zu investieren, will das Möbelgeschäftausbauen.

1927 werden sein neunstöckiges Ausstellungsgebäude und oben draufdas dazugehörige Traumhäuschen eingeweiht. Auf dessen mit rotemEstrich belegter Terrasse stellt er von nun an die Gartenmöbel aus,das erste Stockwerk ist sein Refugium. Ein Ehepaar führt denHaushalt, mittags isst er dort und hält seine Siesta. Vom Esszimmeraus, das heute als Maschinenraum für die beiden Aufzüge dient,verfolgt er 1936 - zur 400-jährigen Stadtgründung - den Bau desObelisken. Oder blickt bis zur Küste von Uruguay. Sein eigentlichesZuhause ist im eine Stunde entfernten Nobelviertel Banfield.

Außerdem installiert er auf dem Dach zwei Antennen, die bis 1938«Radio Diaz» ausstrahlen - Werbung frei Haus. Dann wird eraufgefordert Gebühren zu zahlen und verkauft den Sender. Er wollteWerbung - aber nicht dafür zahlen. Doch das brauchte er jetzt auchnicht mehr. Denn gerade in diesem Jahr war vor der Haustür derprachtvolle Boulevard 9 de Julio vollendet worden, der jedemPassanten den freien Blick auf sein Chalecito ermöglichte.

1962 starb Rafael Diaz und mit ihm der Kult um das kleineHäuschen. Das Möbelgeschäft wurde etappenweise aufgelöst und dieeinzelnen Stockwerke vermietet. 30 Jahre kümmerte sich niemand um dasChalecito und es verschwand hinter riesigen Werbetafeln, die nur nochden Giebel hervorgucken ließen. Erst vor kurzem wurde eine abmontiertund seither ist das Häuschen wieder ganz zu sehen. Und so geht esvielen wie Graciela, die gegenüber in der Stadtverwaltung arbeitet:«Klar, das Haus habe ich schon gesehen. Aber die Geschichte dazukannte ich noch nicht.»