Jobs Arbeitsagentur: Aus schwieriger Phase befreien
Industrie unter Druck, offene Stellen, aber fehlende Qualifikation: Warum der Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt so angespannt ist wie seit Jahren nicht mehr.

Halle - Sachsen-Anhalt verzeichnet derzeit die höchste Arbeitslosenzahl seit sieben Jahren. Der Strukturwandel trifft unter anderem die Automobilzulieferer und energieintensive Branchen wie die Chemie, sagt Markus Behrens, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Sachsen-Anhalt-Thüringen. Dabei gibt es im Land teils große Unterschiede.
Frage: Herr Behrens, wie blicken Sie auf den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt zurück?
Unterm Strich ist die Arbeitslosigkeit gestiegen und die Beschäftigung hat sich eher rückläufig entwickelt. Sachsen-Anhalt ist dabei etwas besser durch diese Phase gekommen als Thüringen – aber auch hier spüren wir Konjunkturflaute und Strukturwandel, etwa in Teilen der Industrie. Wir sind bei den Arbeitslosenzahlen inzwischen auf dem höchsten Niveau der vergangenen sieben Jahre - also höher als vor und in der Pandemie.
Woher kommt der Druck – und welche Branchen stehen besonders unter Spannung?
Die Transformation trifft vor allem Bereiche, in denen Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse unter Druck geraten – etwa im Umfeld der Automobilzulieferer. In Sachsen-Anhalt erleben wir zudem seit diesem Jahr mehrere Schließungen, unter anderem in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Solarbranche. Wichtig ist, dass energieintensive Branchen – etwa die Chemie – stabil bleiben; dafür braucht es verlässliche, wettbewerbsfähige Energiepreise.
Gleichzeitig sind viele Stellen offen – warum passt das nicht zusammen?
Wir haben nach wie vor fast 19.000 offene Stellen im Land. Das Kernproblem ist der Qualifikations-Mismatch: Rund 80 Prozent der Jobs sind auf Fachkräfteniveau, im Arbeitslosenbestand sind aber fast zwei Drittel nicht entsprechend qualifiziert – dazu kommen regionale und mobilitätsbedingte Hürden. Deshalb ist Qualifizierung das A und O.
Welche Rolle spielt Zuwanderung inzwischen für den Arbeitsmarkt?
Eine sehr große. Seit September 2017 wächst Beschäftigung bei uns im Wesentlichen nur noch, weil mehr Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit arbeiten – die Zahl der deutschen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten geht in der Tendenz leicht zurück. In Sachsen-Anhalt sind inzwischen mehr als 60.000 Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, das sind rund acht Prozent – bundesweit ist der Anteil mit 16 Prozent deutlich höher und daran müssen wir uns annähern, um die demografische Lücke zu schließen.
Wie läuft die Integration – gerade bei Ukrainern?
Der Sprachkurs-Berg ist größtenteils abgetragen, aber eben noch nicht komplett: Einige warten weiterhin auf Kurse. Jetzt kommt Stufe zwei: Menschen in Arbeit bringen – und zwar möglichst passend zur Qualifikation, also über Anerkennungsverfahren dahin, dass Akademiker als Akademiker und Fachkräfte als Fachkräfte arbeiten. Dafür braucht es aber auch einen langen Atem. Aus der Zeit ab 2015 wissen wir, dass am Ende rund 70 Prozent in Beschäftigung ankommen können.
Ein großes Problem ist zuletzt die Langzeitarbeitslosigkeit gewesen. Wird das zu einem strukturellen Problem?
Sie nimmt zu und liegt in beiden Ländern in Richtung 40 Prozent Anteil – das ist hoch. Entscheidend ist, Menschen je nach Ausgangslage abzuholen: Manche brauchen eine kurze Qualifizierung, andere erst wieder Struktur und Stabilisierung – etwa über Beschäftigungsgelegenheiten –, bevor der Übergang in reguläre Arbeit gelingt. Finanzielle Spielräume für Arbeitsmarktpolitik sehen wir dafür aktuell durchaus.
Wir haben jetzt schon seit längerem die Entwicklung, dass es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber gibt. Was heißt das für den Markt?
Für Jugendliche ist das eine Chance, weil Auswahl und Einstiegsmöglichkeiten größer sind. Für Unternehmen ist es eine Herausforderung, weil Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben können und das verschärft später den Fachkräfteengpass.
Als Arbeitsagentur unterstützen wir mit Berufsberatung, Vermittlung, Bewerbungshilfen und digitalen Angeboten. Nicht nur bei der Ausbildung, sondern auch bei der Vermittlung. Betriebe sollten sich deswegen bei Problemen frühzeitig bei uns melden, damit wir als eine Art Marktdrehscheibe Arbeitskräfte rechtzeitig weitervermitteln können.
Womit rechnen Sie für das kommende Jahr?
Der Umfang der Veränderungen momentan schmerzt in vielen Bereichen. Ich glaube trotzdem, dass wir viele Chancen haben, uns aus der schwierigen konjunkturellen Phase zu befreien. Das kann vor allem für die Bauindustrie gelten mit dem Investitionsprogramm bei der Infrastruktur. Gleichzeitig müssen Unternehmen aber auch schauen, in welche Richtungen sie sich weiterentwickeln können. Das Gleiche gilt auch für Beschäftigte. Hier ist Weiterbildung der Schlüssel.